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Symphonie des Lebens

Symphonie des Lebens

Titel: Symphonie des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht in München auf, mietete schon auf dem Flughafen eine Taxe und ließ sich nach Starnberg bringen. Erst in dem hellen, schönen Hotelzimmer mit dem Blick auf den etwas dunstigen See fiel die drängende, innere Unruhe von ihr ab.
    Sie war am Ziel. Zweitausend Meter weiter lag die ›Villa Alba‹. Die Straße hinunter, links einen Privatweg hinein … dann begann eine Wiese, die sich zum See senkte, eingezäunt mit einer zwei Meter hohen Buchenhecke. Hinter Bäumen und Blütenbüschen die weiße Villa, die Terrasse, das Schwimmbecken, ein kleines Paradies inmitten einer lauten Welt.
    Die Endstation war erreicht.
    Auf einmal hatte Carola viel Zeit. Einen ganzen Tag lang lag sie in einem Liegestuhl am offenen Fenster ihres Hotelzimmers und blickte stumm über den in der Sonne spiegelnden See. Aber diese Ruhe täuschte. Sie war nur eine Fassade – hinter ihr tobte die Verzweiflung und die Feigheit, das auszuführen, zu dem sie nach Starnberg gekommen war. Sie kämpfte gegen das letzte, hemmende Gefühl, gegen ihre Mutterliebe.
    Am zweiten Tag hatte sie auch das überwunden. Stundenlang hatte sie sich immer wieder vorgeredet: Du bist diese Kinder nicht mehr wert. Du hast sie verraten. Du hast sie vergessen wollen. Du hast sie verkauft für einen Tango Jüngling. Du bist keine Mutter mehr, du kannst nicht mehr das Recht in Anspruch nehmen, in deinen Kindern mehr zu sehen als eben nur Kinder. Du bist tot … für deinen Mann, für Alwine und Babette, für alle. In Berlin bist du in deinem Wagen verbrannt. Was willst du eigentlich noch hier? Auf welch ein Wunder hoffst du? Abschied nehmen? Auch das ist doch wieder ein Selbstbetrug.
    Vom Speisesaal des Hotels aus konnte man das Dach der ›Villa Alba‹ sehen. Carola fragte beim Abendessen danach.
    »Das Haus dort?« Die freundliche Serviererin sah aus dem breiten Fenster. »Das gehört dem Donani. Sie kennen doch den großen Dirigenten Bernd Donani, gnädige Frau?«
    »Ja. Ich habe von ihm gehört.«
    »Ein armer Mann –«, sagte die Serviererin. Carola nagte an der Unterlippe.
    »Wieso? Er hat doch sicherlich Geld genug.«
    »Seine Frau ist voriges Jahr gestorben. Verunglückt. Mit dem Auto. Man sagt, daß sie kaum noch was von ihr gefunden haben. Bei der Beerdigung ist er bald am Grab zusammengebrochen. Und die Kinder, zwei so nette Kinder hat er … sie kommen hier öfter rein und holen sich ein Eis am Stiel –«
    Carola ließ das Essen unangerührt wieder zurückgehen. Es war ihr unmöglich, einen Bissen hinunterzuwürgen. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Sie rannte auf ihr Zimmer, saß wieder am Fenster und empfand eine große Sehnsucht nach dem Ende.
    Im Sessel schlief sie endlich ein, übermüdet und noch im ohnmachtähnlichen Schlaf schluchzend. Als sie aufwachte, war heller Tag, und die Sonne schien ihr ins Gesicht.
    Der letzte Tag.
    Sie brauste sich kalt, um die bleierne Müdigkeit aus dem Körper zu treiben, aß zum Frühstück wieder nichts, weil die Angst vor den kommenden Stunden sie würgte, sie trank nur vier Tassen starken Kaffees und ertrug es, daß ihr Herz wie wild zu klopfen begann.
    Dann ging sie die Straße hinab, bog in den Privatweg ein und näherte sich der Wiese und dem großen Einfahrtstor der ›Villa Alba‹. Es war ihr, als sei sie nie weggewesen, als käme sie von einem Morgeneinkauf zurück … es war alles so selbstverständlich und doch so gespenstisch. Sie bückte sich am Einfahrtstor und rupfte ein paar hohe Disteln aus. Unkraut, das hat es früher nicht gegeben, dachte sie. Wenn wir von den Tourneen nach Hause kamen, haben wir unsere Gartenkleidung angezogen, und dann ging es hinaus … Rasen schneiden, Rosen pflegen, Unkraut rupfen, Blätter kehren … wir waren so glücklich …
    Wir? Wer ist wir? Sie blieb stehen und starrte durch das Gittertor die Einfahrt hinauf zu der weißen Villa. Es gibt kein ›wir‹ mehr, ich habe nicht mehr das Recht, ›wir‹ zu sagen oder ›wir‹ zu denken. Ich bin allein, ich bin ja tot, ich liege auf dem Friedhof von Starnberg. Carola Donani steht auf dem Grabstein. Es gibt mich nicht mehr –
    Von der Seite, dort, wo der Wald bis an den See reichte, ertönte plötzlich Kinderlachen. Carola zuckte zusammen und wollte flüchten. Aber der Weg zur Straße war bereits gesperrt – dort kam Erna Graudenz, die Haushälterin, über die Privatzufahrt, einen Einkaufskorb um den Arm gehängt. Aus den Büschen neben Carola sprangen jetzt Alwine und Babette, lachend, sich nachlaufend, mit roten,

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