Symphonie des Lebens
und betrat den Garten. Am Waldrand entlang schlich sie zu der Balustrade, von der es zum See hinabging.
Die Steinbank stand noch da, und neben der Steinbank war ein Gedenkstein aus weißem Carraramarmor aufgestellt worden. Ein schlichter Block, dessen Schriftseite über den See blickte. Die Buchstaben waren mit Gold ausgelegt.
Ich werde dich nie vergessen, Carola – las sie. Vor ihren Augen begann sich der Gedenkstein zu drehen, die goldenen Buchstaben sprangen sie an und durchbohrten sie wie glühende Pfeile.
Was ist ein Leben ohne dich – las sie weiter, mühsam den Sinn aus dem um sie kreisenden goldenen Fleck entziffernd.
Es war ein Anblick, der alle Stärke in ihr wegsaugte. Sie schrie auf, stürzte auf den Stein zu, hieb mit beiden Fäusten auf die goldenen Buchstaben, als könne sie den weißen Marmor in Stücke zerschlagen, und schrie immer wieder: »Nein! Ich lebe! Ich lebe! Ich lebe!«
Dann rannte sie am Waldrand wieder zurück und aus der Gartenpforte hinaus auf die Straße. Weg, schrie es in ihr. Weg von hier! Das hier ist ein Totenhaus, ein Mausoleum, gebaut um das Andenken der Carola Donani, ein Monument des Unvergeßlichen. Ein Schrei nach verlorener Liebe.
Und ich lebe! Das ist nicht wiedergutzumachen, mit nichts, mit gar nichts! Das ist nur aufzulösen mit dem wirklichen Tod!
Sie rannte und rannte, mit geschlossenen Augen und pendelnden Armen. Als sie erschöpft anhielt, stand sie auf dem Privatweg. Sie war im Halbkreis um die Villa Donanis gelaufen, sie stand wieder vor dem Eingang, vor den von ihr vor einigen Minuten ausgerupften Distelstauden.
In diesem Augenblick bog von der Straße ein großer Wagen in den Zufahrtsweg. In schneller Fahrt kam er näher und bremste scharf, als der Fahrer die Gestalt auf dem Weg sah.
Carola sah sich um. Flüchten, flüchten, schrie es in ihr. Ich muß weg! Ich kann es nicht mehr ertragen! Ich muß durch den Wald … ich muß einfach durch das Gebüsch laufen wie ein streunender Hund –
Bernd Donani sprang aus dem Wagen und kam auf sie zu. Die Opernprobe war gut gelaufen, nun hatte er einen Bärenhunger aus München mitgebracht. Bombalo blieb in den Polstern sitzen. Er sah sachkundig auf die fremde, dunkelhaarige Frau und pfiff durch die Zähne. Eine Carmen, dachte er. Verdammt, man sollte mal wieder nach Spanien reisen.
»Wollten Sie zu mir, gnädige Frau?« fragte Donani und kam näher. »Es freut mich, ich bin Besuche sonst nicht gewöhnt –«
Carola starrte ihren Mann an. Ihr schönes, schmales, südländisches Gesicht war bleich und zuckte. Wie weiß er geworden ist, dachte sie. Und die Falten um seine Augen sind auch neu. Es sind Falten des Grams. Aber seine Augen sind geblieben, seine gütigen väterlichen Augen …
Mit einem Ruck wandte sie sich ab, senkte den Kopf, wie ein sich schämendes Mädchen, und rannte an ihm vorbei zur Straße. Donani wandte sich um und starrte ihr verblüfft nach.
»Gnädige Frau!« rief er. »Was ist denn? Bitte, bleiben Sie doch stehen – Ich bitte Sie –«
Bombalo sprang aus dem Wagen und sah der laufenden Gestalt mit offenem Mund nach.
»Was haben Sie ihr gesagt, Maestro?« fragte er dann. »Sie läuft ja, als würde sie gehetzt. Wer war das denn?«
»Wenn ich das wüßte.« Donani sah der rennenden Carola nach. Sein Gesicht war überschattet von Erinnerungen und Fragen. »Wie sie läuft –«, sagte er leise. »Diese Haltung des Kopfes … diese Armhaltung … so, genauso ist Carola gelaufen –«
Bombalo faßte Donani am Ärmel und zog daran.
»Kommen Sie«, sagte er rauh. »Ehe Sie wieder Gespenster sehen.«
»Ich muß wissen, wer sie ist.« Mit einem Ruck riß sich Donani los und lief Carola nach. Bombalo raufte sich die Haare. Wie immer warf er beide Arme klagend hoch.
»Maestro!« schrie er. »Das ist doch Unsinn! O Madonna, hört das denn nie auf?«
Donani erreichte die Straße keuchend und nach Atem ringend. Er war ein schnelles Rennen nicht gewöhnt, sein Herz zuckte und schmerzte. Er sah die laufende Gestalt um die Biegung der Straße verschwinden und wußte, daß er sie nie einholen würde.
»Bleiben Sie doch!« rief er noch einmal. »Laufen Sie doch nicht weg!«
Sein Ruf zerflatterte in den Bäumen.
Hinter der Straßenbiegung, sicher vor Donanis Blicken, verließ Carola alle Kraft. Sie brach zusammen und sank seitlich der Straße in das Gras.
Der Schwächeanfall war nur kurz. Sie verlor nicht die Besinnung dabei, sie lag auf dem Rücken, starrte in den blauen, von kleinen Wolken
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