Symphonie des Todes
wenn ich diejenigen Angestellten sprechen könnte, mit denen Darlene näher bekannt oder befreundet gewesen ist.« Nach einem Blick in die Kommode schüttelte sie resigniert den Kopf.
»Keine Kleider. Nicht mal eine Fluse. Ein paar benutzte Handtücher, die sie vermutlich fallen oder auf dem Weg aus dem Bad ins Schlafzimmer dort liegen gelassen hat. War das Zimmer überhaupt belegt?«
»Das finde ich sofort für dich heraus. Außerdem wirst du die Namen und Adressen ihrer nächsten Verwandten haben wollen.«
»Ja.« Eve seufzte leise auf. »Vor allem den von ihrem Mann, falls sie einen hatte. Oder den von ihrem Freund, ihrem Geliebten oder irgendeinem Ex. In neun von zehn Fällen ist bei Sexualmorden der Täter der Partner oder Ex-Partner der Frau. Nur sieht es aus, als wäre dies Ausnahme-Fall Nummer zehn. An diesem Mord ist nichts Persönliches, nichts Intimes, nicht die Spur von Leidenschaft. Der Täter war beherrscht und emotional nicht im Geringsten in die Sache involviert.«
»An einer Vergewaltigung ist niemals irgendwas intim.«
»Manchmal doch«, verbesserte ihn Eve. Sie kannte sich schmerzlich damit aus. »Wenn es eine Beziehung zwischen Angreifer und Opfer gibt, irgendeine, vielleicht sogar nur in der Fantasie des Täters existente, gemeinsame Geschichte, wird die Tat intim. Dieser Täter aber war absolut kalt. Er hat sich nur in sie hineingerammt und ist wahrscheinlich umgehend gekommen. Ich wette, er hat mehr Zeit mit den Schlägen als mit der Vergewaltigung verbracht. Manchen Männern macht das einfach Spaß. Es ist für sie so etwas wie das Vorspiel vor dem eigentlichen Akt.«
Roarke stellte den Rekorder aus. »Eve. Gib diesen Fall an jemand anderen ab.«
»Was?« Blinzelnd kehrte sie in die Gegenwart zurück. »Weshalb sollte ich das tun?«
»Tu dir das nicht an.« Er legte eine Hand an ihre Wange. »Es tut einfach zu weh.«
Er achtete darauf, dass er nicht von ihrem Vater sprach. Von den Schlägen, von dem wiederholten Missbrauch, von der nackten Panik, aus der ihr Leben bestanden hatte, bis sie acht gewesen war.
»Wenn man einen Fall an sich heranlässt, tut er immer weh«, antwortete sie schlicht und blickte auf die tote Darlene French. »Ich habe sie gesehen und berührt und jetzt gehört sie mir. Ich werde sie niemand anderem überlassen. Das kann ich einfach nicht.«
2
E in gewisser James Priory aus Milwaukee hatte die Suite 4602 bereits drei Wochen zuvor für zwei Nächte reserviert und bei seinem Erscheinen um fünfzehn Uhr zwanzig an diesem Nachmittag dem Empfangschef seine Kreditkarte zur Überprüfung vorgelegt.
Während die Spurensicherung den Tatort untersuchte, sah sich Eve im Wohnzimmer die von Brigham heraufgeschickte Überwachungsdiskette an.
Die Bilder zeigten einen gemischtrassigen Mann von Mitte bis Ende vierzig im dunklen Anzug des erfolgreichen Geschäftsmanns, für den eine erstklassige Suite in einem erstklassigen Hotel bestimmt nicht zu teuer war. Rein äußerlich der Typ des gut bezahlten Prokuristen, überlegte Eve.
Unter dem gut sitzenden Anzug und dem sorgfältig frisierten Haar jedoch entdeckte sie den Gangster.
Er war gedrungen, hatte eine breite Brust und wog leicht das Doppelte der von ihm erwürgten jungen Frau. Seine Hände waren fleischig, die Finger lang und grob, und die Farbe seiner Augen glich dem widerlichen Film, der sich im Januar auf den Pfützen bildete. Sie hatten ein schmutzig kaltes Grau.
Sein Gesicht war kantig, mit einer klotzigen Nase und einem dünnen Mund. Das dunkelbraune, sorgfältig gekämmte und an den Schläfen grau melierte Haar wirkte affektiert. Oder wie eine Perücke, dachte sie.
Er versuchte nicht, sein Gesicht vor den Kameras oder den Angestellten zu verbergen, und bedachte den Empfangschef sogar mit einem kurzen Lächeln, bevor er sich von einem Pagen in Richtung Fahrstuhl begleiten ließ.
Ein Koffer war sein einziges Gepäck.
Auf der nächsten Aufnahme sah Eve, wie dem Mann die Tür der Suite geöffnet wurde und der Page höflich einen Schritt zurücktrat, damit Priory vor ihm das Hotelzimmer betrat. Der Kamera im Flur zufolge hatte er den Raum nicht noch mal verlassen, bevor der Mord geschehen war.
Statt den Zimmerservice zu bestellen, hatte er sich am AutoChef in der kleinen Küche ein rohes Steak, eine gebackene Kartoffel, Sauerteigbrötchen, Kaffee und zum Nachtisch ein Stück Käsekuchen bestellt.
Auch die Bar im Wohnzimmer hatte er benutzt, hatte sich eine Limonade und ein paar Erdnüsse gegönnt.
Keinen
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