syrenka
stehen, legte beide Hände auf die Brust und starrte Hester an. Tränen schienen ihm in die Augen zu steigen.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Hester. »Wollen Sie sich setzen?« Sie zog einen Holzstuhl aus einer Ecke und wischte dieSpinnweben von der Sitzfläche, während sie ihm schon damit entgegenstürzte. »Hier, setzen Sie sich und ruhen Sie sich einen Moment aus! Ich laufe hoch und hole Hilfe.«
»Nein«, wehrte er ab. Er fasste Hester mit beiden Händen am Arm und sah ihr in die Augen, während sie ihn auf den Stuhl drückte. »Nein, Mädchen, bestimmt, es geht mir gut. Es geht mir sogar besser als gut.«
»Gehören Sie zum Ältestenrat, den Pastor Marks einberufen hat, um sich die ...« Das Wort »Schambehaarung« lag ihr schon auf der Zunge, aber sie merkte, dass es unangebracht war. » ... die verschandelten Fenster anzusehen?«
Er lachte. Seine Stimme klang angenehm hell. »Die Haare – die sind schon ganz schön frech, was? Ehrlich – ich mag gute Witze.« Er schüttelte den Kopf. »Aber nein, niemand hat mich gerufen.« Er deutete vage auf die Grabstätten an der Wand. »Ich betreibe nur etwas Familienforschung für die Kirchenchronik.«
»Ach, dann wissen Sie vielleicht auch etwas über diese beiden Sarkophage?«
Jetzt wurde er ernst. »Warum interessierst du dich denn ausgerechnet dafür?«
»Einfach so«, wehrte Hester ab. »Ich bin nur neugierig, das ist alles. Sie waren für zwei Personen bestimmt, die sie aber nie in Anspruch genommen haben. Reverend Robinson starb in Leiden, bevor er überhaupt nach Amerika zu den Pilgervätern kam. Und William Brewster liegt wohl irgendwo auf dem Burial Hill.«
Die Lippen des Mannes kräuselten sich zu einem schelmischen Grinsen. »Da ist aber jemand wirklich pfiffig! Was für ein Glück! Diese Sarkophage sind im Jahr 1624 angefertigt worden, zu Ehren der Vorsitzenden der ersten Gemeinde. Ich frage michimmer wieder, wie Presbyter Brewster diese Geste wohl aufgenommen hat, wo er zu jener Zeit doch ein kraftvoller Mann von achtundfünfzig Jahren war. Was heißen soll: Du hast recht. Die Sarkophage sind leer. Leer wie eine Flasche Scotch an meinem Geburtstag!« Er lachte wieder. Hester amüsierte sich sowohl über seine Lachlust wie auch über seinen Akzent. Sie legte ihre Schüchternheit ab und lachte ebenfalls leise.
»Ich hätte nie gedacht, dass Geistliche wie Sie trinken«, sagte sie. »Oder zumindest: dass sie es zugeben.«
»Tja, mag sein, aber als Pastor bin ich ja pensioniert. Und ich bin Schotte, damit gehört das Trinken zu meinen Grundrechten.« Er stand auf, ein wenig steif, und streckte ihr seine zarte, knochige Hand entgegen. »Michael Morangie McKee.«
Hester schüttelte die Hand. Sie war kühl und trocken und die Haut dünn. »Ich heiße Hester. Hester Goodwin.«
»Hester«, sagte er. »Ich freue mich verdammt, mit dir zu sprechen, das kann ich dir sagen.«
»Ich finde, Sie haben einen wundervollen Akzent.«
»Donnerlittchen, und höflich bis in die Haarspitzen ist sie auch noch! Ich bin in der Stadt Tain aufgewachsen, am Rande des Morangie Forest. Daher mein Name. Vielleicht hast du schon mal gehört, dass der beste Scotch der Welt aus Morangie kommt. Tja, und den besten Scotch von ganz Morangie machen die McKees.« Er sah irgendwo in die Ferne und in seinen Augen begannen Tränen zu glänzen. »Ach, meine liebe Mutter, wie hat sie diesen Wald geliebt ...«
»Die Arme ...«
»Und ihren Scotch genauso!« Er zog seine Augenbrauen so weit hoch, dass seine Stirn nur noch aus Falten bestand.
Hester lachte. Sie begann diesen schrulligen Alten mit dem runzeligen Gesicht und einer unverkennbaren Vorliebe für alkoholische Getränke immer mehr zu mögen.
»Ich würde dich gern mal ein Gläschen Scotch aus Tain probieren lassen«, meinte er.
Hester schüttelte den Kopf. »Danke, ich trinke keinen Alkohol.«
»Früher hatte ich einen wunderschönen Flachmann. Handgearbeitet aus Silber. Ein Geschenk meiner Mutter, als ich mein Amt übernahm.« Er klopfte sich auf die Brusttasche. »Hier habe ich ihn immer bei mir getragen.« Er lachte wieder. »Er passte dorthin wie angewachsen. Und als ich ihn das letzte Mal bei mir hatte, war er randvoll mit dem Familienscotch der McKees.«
»Und wo ist er jetzt?«
»Ich habe ihn verloren. Leider. Ausgerechnet irgendwo im Meer. Schon vor Jahren. Aber wie gern hätte ich ihn wieder!«
Eine kleine Pause entstand, und Hester überlegte, ob ihre Familie wohl schon nach ihr suchte.
Pastor McKee sah
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