syrenka
Familie?«, forschte er.
»Meine Mutter ist vier Tage nach meiner Geburt gestorben. Meine Großmutter ist gestorben, nachdem sie meine Mutter auf die Welt gebracht hatte. Und meine Urururgroßmutter ist ebenfalls nach der Geburt eines kleinen Mädchens gestorben.«
Was war nur in sie gefahren? Wie machte er es, dass sie ihm dies alles erzählte? Sie hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen – weder mit ihren Eltern noch mit Sam oder Peter. Sie musste sehen, dass sie hier wegkam; weglaufen, bevor sie sich ihm völlig öffnete.
»Ich komme zu spät zum Abendessen.«
Er sah sie an, schien abzuwägen, was er als Nächstes sagen wollte. Hester fasste den Schultergurt ihrer Tasche.
»Ich würde dir gern helfen, dieses Problem weiter zu durchdenken«, sagte er.
»Besten Dank, ich habe bereits jahrelang darüber nachgedacht.«
»Aber ich habe eine Hypothese, von der ich sicher glaube, dass du sie noch nie erwogen hast.«
»Nein, nein, schon gut.« Sie zog sich den Taschenriemen über den Kopf und die Schulter.
»Wie du möchtest«, antwortete er, aber er schien ernsthaft enttäuscht zu sein. »Ich werde morgen Abend am Strand sein. Du kannst kommen, sofern du deine Meinung änderst.«
»Ich ... ich glaube nicht«, sagte sie und schüttelte den Kopf. Sie raffte den Saum ihres schweren Rocks zu einem Bündel zusammen, damit er nicht über den feuchten Sand schleifte, und ging, ohne sich zu verabschieden. Als sie einen Blick zurück warf, stand er am Strand vor der Höhle und die Flut begann an seinen Füßen zu lecken. Die untergehende Sonne hatte sich wieder durchgekämpft und beschien ihn von der Seite, sodass sein Gesicht zu leuchten schien.
Die Tasche schlug gegen ihre Hüfte, als Hester plötzlich losrannte.
Eleanor war eine rechtschaffene Christin. Das hielt sie aber nicht davon ab, Sarah Doyle Schaden zufügen zu wollen. Immer wieder fand sie während der drei folgenden Sonntage Ausreden, um sich aus der Kirche zu stehlen. Und im Verlauf dieser Wochen wurde es ihr so klar wie noch niemals etwas zuvor: dass ihr Gott Olafs Mörderin nicht ungestraft lassen wollte. Die Geschöpfe des Meeres waren nicht gottgefällig – sie waren die Brut des Satans. Sarahs vorgebliches Menschendasein musste vernichtet werden, auf welche Weise auch immer. Als Mutter der kleinen Marijn sah Eleanor stärker denn je die Notwendigkeit einer gesunden und sicheren Welt. Sie wollte alles in ihrer Macht Stehende tun, um diese verletzliche kleine Seele zu schützen.
Am Samstagnachmittag bettete sie Marijn in den Kinderwagen, stopfte eine Decke um sie herum und eilte zum Rektorat der Kirche. Das Rütteln der unbefestigten Straße wiegte das Baby inden Schlaf. Eleanor stellte die Bremsen des Kinderwagens fest, hob das Baby heraus und klopfte an der Tür des bereits in den Ruhestand versetzten Pastors.
Der alte Geistliche öffnete. Er trug Pantoffeln und hatte die weiße Halsbinde abgelegt. Der oberste Knopf seines Hemdes stand offen.
»Pastor!«, stieß Eleanor atemlos aus.
»Mrs. Ontstaan, nicht wahr?«, antwortete der Kirchenmann mit seinem schottischen Akzent. »Sie sehen, man hat mich zwar pensioniert, aber senil bin ich doch noch nicht. Bitte kommen Sie herein! Ich will mich nur rasch ein bisschen präsentabel machen.«
Eleanor trat ein. »Es tut mir leid, dass ich Euch stören muss, Pastor. Aber es ist außerordentlich wichtig.«
Im Pfarrbüro war es warm. Ein kleiner Kohleofen brannte. Eleanor setzte sich auf einen Holzstuhl, während der Pastor auf der anderen Seite des Raumes in sein Schlafzimmer schlurfte und die Tür schloss. Als er wieder herauskam, trug er seine Halsbinde und eine Weste, hatte aber die Pantoffeln noch an den Füßen.
»Nun – kann ich Ihnen Tee anbieten? Oder lieber etwas Kräftigeres? Ein Schlückchen Scotch?« Seine Augenbrauen bewegten sich wie zwei Raupen. »Ich habe den Eindruck, Sie könnten einen Fingerhut voll vielleicht gebrauchen.«
»Nein, ich denke eher nicht«, antwortete Eleanor missbilligend und drückte Marijn an ihre Brust. »Ich brauche Eure Hilfe. Ich habe ein dringendes Anliegen. Dies ist kein Anstandsbesuch.«
»Gewiss nicht, Madam.« Er wurde auf höfliche Art ernst und setzte sich.
»Wenn Ihr es mir nicht übel nehmen wollt – ich bin nur eine einfache Frau und möchte mich nicht aufspielen. Ich kann nichtanders, als frei von der Leber weg zu sprechen. Aber dieses Gespräch muss zwischen Euch und Gott und mir allein bleiben.« Während Eleanor sprach, schaukelte sie
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