syrenka
fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Zum Mittagessen hatte sie Spinatsalat gegessen – was, um Himmels willen, hatte sie sich nur dabei gedacht? Und die ganze Zeit konnte sie nicht den Blick von ihm wenden, diesem schlaksigen, zerknitterten, verwirrenden Typen, der so intelligent und gleichzeitig so weltfremd war. Und der, wie sie zugeben musste, atemberaubend gut aussah.
Jetzt blickte er auf und zu ihr herüber – als hätte sie ihn gerade angestoßen.
Sie winkte so lässig sie nur konnte und stieg die Treppe hinab. Um bloß nicht zu stolpern, hielt sie den Blick auf die Stufen gesenkt anstatt auf ihn. Der Supersportler und seine Freundin gingen gerade hinauf.
»Danke«, sagte Hester, während sie hintereinander an ihr vorbeiliefen.
»Verdammt schlechtes Wetter für den Strand«, meinte das Mädchen freundlich.
»Schon«, antwortete Hester. »Aber ich bin verabredet. Mit meinem Freund, da drüben.«
Der Typ war offenbar etwas schwer von Begriff, denn er sah über seine Schulter zum Strand zurück und antwortete mit einem verwirrten: »Ah ja.«
Während Hester näher kam, lächelte der Fremde sie an. Auf alarmierende Weise kam ihr das vor wie der erste Flash einer Droge, dem sie den ganzen Tag entgegengefiebert hatte. So etwas wie Begeisterung in flüssiger Form schoss durch ihre Adern, und während sie dieses Gefühl auskostete, wurde ihr klar, dass sie mehr davon haben wollte. Das sind wohl Endorphine, überlegte sie. Wie wankelmütig der menschliche Wille doch ist, dass er sich von ein paar Tropfen Hormonen so beeinflussen lässt!
Er stand auf, um sie zu begrüßen.
»Hallo«, sagte Hester und gab sich Mühe, betont locker zu klingen.
»Du bist zurückgekehrt!« Er schien sich zu freuen, sodass seine Augenbrauen weit hochgezogen waren.
»Ich bin gestern Abend wohl etwas überstürzt abgehauen. Wir haben da einen wunden Punkt berührt.«
»Das habe ich mir gedacht.« Er wischte sich die Hand ab und klopfte sich leicht den Sand vom Rücken. Allerdings konnte Hester nicht das kleinste Körnchen an ihm entdecken.
»Dein Buch wird nass«, meinte Hester.
»Es ist nicht mein Buch. Jemand muss es heute Nachmittag hier vergessen haben.«
Hester spähte an ihm vorbei, um einen Blick auf den Deckel zu erhaschen. » Jane Eyre . Das fand ich toll!«
»Tatsächlich?« Er sah sie an und klammerte sich ein bisschenzu lang an das, was eigentlich nur als Einstieg in ein Gespräch gemeint war. »Nun«, fuhr er schließlich fort. »Ich wünschte, ein anderes Buch wäre liegen geblieben, eines, das ich noch nicht kenne. Wollen wir ein paar Schritte gehen?«
Versuchte er Hester damit auf höfliche Weise klarzumachen, dass er schon eine ganze Weile hier gesessen und sich gelangweilt hatte?
»Es tut mir leid, wenn du lange warten musstest. Ich habe den ganzen Tag gearbeitet. Früher konnte ich nicht. Wir haben gestern ja keine Zeit verabredet, du hast einfach nur ›am Abend‹ gesagt – ich habe den ganzen Tag überlegt, was das genau heißt«, faselte sie drauflos.
»Du trägst heute keine Arbeitskleidung«, bemerkte er, während sie den Strand entlangschlenderten. Er schien den dichten Nieselregen gar nicht zu fühlen. Und Hester hätte sich kaum weniger daran stören können.
»Ich habe mich umgezogen.« Jetzt sah sie ihn an und stellte fest, dass er dasselbe weiße Hemd und die schwarze Hose wie am Tag zuvor trug. »Sag mal, kann es vielleicht sein, dass du kein Zuhause hast?«
»Ich habe sehr wohl ein Zuhause«, antwortete er.
Seine Kleidung war sauber, wenn sie auch allmählich feucht wurde. Er ging barfuß, hatte aber keinerlei Schwierigkeiten auf dem steinigen Strand.
»Wo denn?«, hakte Hester nach. »Wo wohnst du?«
»Ein wenig nördlich von hier, bei der Cordage Company.«
»Du meinst, beim Cordage Museum?«
»Hm«, antwortete er ausweichend. Er sah sie verlegen an. Ihre Blicke begegneten sich. Was hatte er zu verbergen?
Unvermittelt blieb Hester stehen. »Warte«, sagte sie und hielt ihn am Ellbogen fest. Ihre Finger berührten die Haut unterhalb seines hochgekrempelten Ärmels. Sie war kühl und fühlte sich auf unerklärliche Weise wunderbar an. Ein Kribbeln schoss ihren Arm hinauf und explodierte wie ein elektrischer Schock irgendwo in ihrem Kopf. Zugleich war es ein ungemein angenehmes Gefühl. Hester zuckte ein wenig zusammen. Er sog die Luft ein, als spürte er es ebenfalls.
»Ich ... ich hatte noch nicht das Vergnügen, deinen Namen zu erfahren«, sagte er. »Ich heiße
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