syrenka
dabei wesentlich aggressiver, als es ihre Absicht gewesen war. »Es kann ganz schön gefährlich werden mit den Gezeiten, ist dir das klar?«
»Ich kenne die Gezeiten.« Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich.
»Aber was machst du denn hier?« Ihre Stimme klang schrill.
»Was geht dich das an?«
»Ich finde es einfach komisch, dass ich dich hier schon zum zweiten Mal treffe.« Sie deutete auf seine Füße. »Wo sind denn überhaupt deine Schuhe?«
»Ich habe dich nicht hierher gebeten«, sagte er schroff. Draußen zog eine Wolke auf. Das Licht in der Höhle wurde schwächer, und sein Gesicht verdunkelte sich, wie von einer düsteren Ahnung befallen.
»Nein, weiß Gott nicht!« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Du warst einfach nur nervig!«
»Und du bist streitlustig aus Gründen, die ich nicht kenne. Wir haben unsere gegenseitige Gesellschaft genossen, bis ...«
Sie hob die Hand. »Du brauchst nicht für mich zu reden! Hör zu: Ich bin nur hier, weil ich sichergehen wollte, dass du neulich Nacht nicht ertrunken bist. Ich bin nicht zurückgekehrt, um mit dir eine geistreiche Unterhaltung zu führen.«
Der Wind frischte plötzlich auf. Gischt wehte von den Wellen herüber und spritzte gegen Hesters Rücken.
»Bevor du aber dein ganzes Leben lang mit niemandem sprichst, wünschst du dir nichts sehnlicher als das«, gab er zurück.
Wieder so ein undurchschaubares Rätsel. Hester fand, dass er arrogant klang.
»Ich habe jede Menge Leute, mit denen ich lieber rede als mit dir«, log sie. Warum wurde sie jetzt gehässig?
Er presste die Lippen zusammen. Die Wolken über dem Meer passten zu seiner Laune. Es begann zu regnen und ein paar Tropfen wurden in die Höhle hineingeweht.
»Wenn du nur gekommen bist, um deine Neugier hinsichtlich meines Befindens zu stillen, hast du die Antwort bereits erhalten. Vielleicht willst du lieber gehen, bevor dich wieder einer deiner zudringlichen Liebhaber in dieser Höhle stellt? Dieses Mal werde ich nicht einschreiten.«
»Ich habe überhaupt keine Liebhaber, du Klugscheißer!« Hester erschrak selbst über die schmerzliche Einsamkeit, die sich in ihrer Brust breitmachte, als sie hinzufügte: »Ich muss allein bleiben! Für immer!«
Ihr fiel nichts mehr ein, als ihre Tasche zu packen und zu gehen. Sie drehte sich um und wollte gerade verschwinden, als er sie am Ellbogen fasste. Durch die Wolle ihres altmodischen Jäckchens hindurch spürte sie seinen Griff: entschlossen und dennoch sanft. Ihr Arm kribbelte ein wenig.
»Warte!« Seine Miene war jetzt wieder sanfter. »Willst du mir nicht sagen, was du damit meinst?«
»Lass mich los!«, knurrte Hester, wohl wissend, dass sie sich losmachen konnte, wenn sie nur wollte.
Der Wind wurde wieder schwächer. Der Regen ließ nach. Sie spürte, wie ihre Tasche zu Boden sank.
»Wie du das gerade gesagt hast«, beharrte er: »›Ich muss allein bleiben. Für immer‹. Das heißt, dass es nicht deine Entscheidung ist, sondern dass du dazu gezwungen bist. Warum?«
Die Intimität dieser Frage und die Eindringlichkeit, mit der er sie stellte, holten die Antwort aus ihrem tiefsten Inneren. Sie brach aus ihr heraus, bevor sie sie unterdrücken konnte. Hester spürte, wie sich ihre Lippen bewegten, und was sie hervorbrachten – leise und traurig – war eine Überraschung.
»Weil ich Angst habe zu sterben!«
Es war das erste Mal, dass sie es laut aussprach. Und es war eigentlich viel zu persönlich, um es einem fast Fremden anzuvertrauen.
»Warum glaubst du, dass die Liebe und der Tod untrennbar miteinander verbunden sind?« Er ließ ihren Ellbogen wieder los, und Hester musste feststellen, dass es ihr leidtat, seine Berührung nicht länger zu fühlen.
»Weil es in meinem Fall so ist.« Sie strich sich mit der Handfläche das Haar aus der Stirn. »Nein, das stimmt so nicht ganz. Die Liebe an sich ist nicht das Problem. Aber das, was dabei herauskommt. Ich werde niemals Kinder bekommen. Weil alle Frauen meiner Familie wenige Tage nach der Entbindung sterben. Es ist ein ungeklärtes medizinisches Phänomen, und je älter ich werde, umso mehr fürchte ich mich davor.« Sie sah an dieHöhlendecke, um die Tränen zu bekämpfen, die ihr in die Augen gestiegen waren. »Das ist ja lächerlich! Warum erzähle ich dir das überhaupt?«
»Bitte verzeih mir, wenn ich ausgerechnet jetzt taktlos und ungehobelt bin.«
Sie schüttelte geringschätzig den Kopf und wischte sich die Augen.
»Was genau weißt du über die Todesfälle in deiner
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