syrenka
Ezra.«
Ezra , dachte Hester. Das passte perfekt zu ihm! »Ich heiße Hester«, antwortete sie. »Hester Goodwin.«
»Hester.« Er nickte bedächtig und betrachtete jeden Zentimeter ihres nun erröteten Gesichts eingehend. Er schien nach irgendetwas zu forschen. »Goodwin ist ein alter Name in dieser Gegend, nicht wahr?«
»Ja, peinlich alt.«
»Hester Goodwin«, sagte er leise und gedehnt, als versuche er ihren Namen zu schmecken. Er sah ihr nun tief in die Augen.
Sie musste ihn davon abbringen! Hester ertrug es nicht, wenn er sie so ansah – als blickte er direkt in ihre Seele. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie von dem pausenlosen Nieselregen allmählich komplett durchweicht war und er ihr versprochen hatte, ihr bei ihrem Problem zu helfen.
»Weißt du noch, gestern?«, begann sie und bemerkte gleich, dass diese Frage ziemlich idiotisch war. »Du hast gesagt, du hättest eine Idee. Wegen dieses medizinischen Phänomens in meiner Familie.«
Er kniff die Augen zusammen. »Ja richtig, dieses medizinischePhänomen. Diese Frauen, die alle gestorben sind. Das ist nicht ganz unwichtig.«
Nicht ganz unwichtig? Es ist wohl das Wichtigste in meinem Leben, dachte Hester plötzlich ärgerlich. Wie machte er das nur? Wie konnte er sie so wütend machen und ihr Herz in ein und demselben Moment zum Rasen bringen?
»Erzähl mir ganz genau, was du weißt!«
Zur Beruhigung atmete Hester einmal tief durch. »Offenbar müssen sämtliche Frauen meiner Familie innerhalb der ersten Woche nach der Geburt ihres ersten Kindes sterben. Meiner Mutter ist es jedenfalls so ergangen und meiner Großmutter genauso. Mein Vater meint, meine Mutter hätte auch mal erwähnt, dass ihre Großmutter, meine Urgroßmutter also, ebenfalls früh gestorben ist.« Sie deutete Richtung Leyden Street. »Und meine Urururgroßmutter liegt dort oben auf dem Burial Hill, zu Staub und Knochen zerfallen, nachdem sie mit neunzehn Jahren ein Mädchen namens Nellie auf die Welt gebracht hat.«
Ezra nahm ihre Informationen mit Kopfnicken zur Kenntnis. »Und du glaubst, dass es dafür eine wissenschaftliche Erklärung gibt, Kindbettfieber oder eine anatomische Abweichung, weswegen diese Frauen alle nach der Geburt gestorben sind?«
»Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass aus medizinischer Sicht etwas schiefgelaufen ist. Aber ein Zufall kann es auch nicht sein. Es muss genetisch bedingt sein.«
»Waren die Kinder allesamt Mädchen?«
»Soviel ich weiß, ja. Könnte das eine Rolle spielen?«
»Erzähl mir, unter welchen Umständen deine Mutter dich bekommen hat.«
»Meine Mutter war bis dahin völlig gesund gewesen. Sie hatsämtliche Untersuchungen während der Schwangerschaft durchführen lassen und meine Geburt verlief unkompliziert. Sie hatte weder Fieber noch unverhältnismäßige Blutungen. Die Ärzte haben alles versucht, um sie zu retten. Aber sie ist ihnen einfach weggestorben. Dabei, sagt mein Vater«, schob sie ein, »war eigentlich ich diejenige, die in der ersten Woche schwächelte. Ich habe nicht geschrien und tagelang nicht trinken wollen. Er sagt, er hatte immer ein schlechtes Gewissen, dass er sich um mich solche Sorgen gemacht hat – ohne zu ahnen, dass in Wirklichkeit Susan diejenige war, die in Gefahr schwebte.« Sie schwieg einen kurzen Moment. »Wir leben in einem hoch entwickelten Land, Ezra, wo sich die Medizin auf höchstem Niveau bewegt. Aber dennoch hat man bei ihrer Autopsie«, bei diesem Wort zog sich Hesters Kehle zusammen, »keine Ursache für ihren Tod feststellen können. Wie kann das sein?«
Ezra sah Hester tief in die Augen. »Mein aufrichtiges Beileid.«
Hester musste wegsehen. »Ist schon gut. Wirklich.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust, stützte das Kinn auf die Knöchel und sah zu Boden. Dann begann er hin und her zu gehen. Er strich sich abwesend mit dem Zeigefinger über die Lippen – diese Lippen, die zu küssen Hester sich vorgestellt hatte, als sie an diesem Tag im Freilichtmuseum ihre Teppiche ausgeklopft und ihre Matratze gelüftet hatte. Sie ließ ihn nachdenken und versuchte sich währenddessen wieder zu fassen.
»Deine Mutter ist nach der Geburt ihres Kindes gestorben«, rekapitulierte Ezra schließlich Hesters Aufzählung noch mal, »deine Großmutter und deine Urururgroßmutter.«
»Und meine Urgroßmutter wahrscheinlich auch.«
»Hm«, machte er. »Wir brauchen aber Gewissheit, keine Mutmaßungen.« Er blieb stehen und sah sie an. »Ich fürchte, du wirst einige ziemlich aufwendige
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