syrenka
richtete sich auf und nahm sich die Zeit, zugunsten des Gleichgewichts auch aus dem anderen Schuh zu schlüpfen. Allmählich wurde er bedenklich kurzatmig. Diese Verzögerungkostete ihn möglicherweise das letzte bisschen Hoffnung, das es überhaupt gegeben hatte.
Das kleine Mädchen war um ihn herum gelaufen und stand nun vor ihm. Vom Weinen waren ihre Augen gerötet und geschwollen. Ezra sah, dass sie in den Decken auf ihrem Arm ein Baby trug.
»Geh mir aus dem Weg!«, platzte er heraus.
»Aber Sir, sie ist so schwer!«
Ezra war völlig benommen. Seine Beine zitterten. Er versuchte, an dem Mädchen vorbeizugehen, aber sie machte einen Schritt zur Seite und stand wieder vor ihm.
»Geh mir aus dem Weg!«
»Das werde ich nicht tun!«, antwortete Adeline und stampfte mit dem Fuß auf. Aus lauter Angst wurde sie ungehorsam. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Baby machen soll!«
»Ich kann dir nicht helfen!«, schrie Ezra. Für einen kurzen Moment ließ er Sarahs Arm los und stieß das Mädchen beiseite. Der Schmerz raubte ihm fast den Atem. Dann machte er sich auf den Weg, die Leyden Street hinab zum Meer.
Aber Adeline war klein für ihr Alter und das Baby war schwer. Durch den Stoß verlor sie das Gleichgewicht. Sie stolperte zur Seite, verlor mit jedem Schritt mehr Halt und bewegte sich dadurch zunehmend schneller voran, bis sie merkte, dass sie gleich fallen würde – gegen einen Grabstein und mit dem empfindlichen Kopf des Babys voraus. Instinktiv drehte sie sich noch im Sturz und drückte das Kind fest an sich.
So schlug sie mit ihrem eigenen Hinterkopf gegen die scharfe Kante eines unlängst errichteten Granitsteins. Ihre Kopfhaut platzte auf, ihr Schädel zerbarst. Ihr Körper sackte gelähmt zusammen. Während sie zu Boden sank, hinterließ ihr Kopf eine Blutspur auf der Inschrift an der Vorderseite des Grabsteins:
B EDENK, WAS UNABÄNDERLICH:
W IE DU HEUT BIST, WARD EINST AUCH ICH.
U ND WIE ICH BIN, SO WIRST DU SEIN,
UND SCHLIEßEN WIRD DER T OD DIE R EIH’N.
Das Baby landete unverletzt auf Adelines Bauch und begann zu weinen.
Am nächsten Morgen ging Hester mit dem beunruhigend dringenden Wunsch zu ihrem Job, einfach alles hinzuwerfen und zum Strand zu laufen. Der Gedanke, dass der heutige 4. Juli, der Nationalfeiertag, einer der vollsten Tage war, die es im Freilichtmuseum nur geben konnte, war ihr schier unerträglich. Sie hatte keine Lust auf all die Touristen, all die Menschen. Aber schwänzen ging leider nicht.
Sie fand schnell heraus, dass es nur einen Weg gab, sich auf ihren Job zu konzentrieren – indem sie sich ein Mammutprogramm vornahm. An einem einzigen Tag erledigte sie sämtliche häuslichen Arbeiten, die ihr der Kurator für die ganze Woche aufgetragen hatte: Sie jätete Unkraut im Gemüsegarten der Howlands, pflückte Heilkräuter und band sie zum Trocknen mit Zwirn zusammen, kochte zum Mittagessen einen Wurzeleintopf und flickte den Betthimmel. Sie klopfte die Teppiche aus, und anschließend, da keine aufgetragenen Pflichten mehr ausstanden, borgte sie sich von den Männern, die Gouverneur BradfordsDach deckten, Hammer und Nägel, um eine zerbrochene Fußbank zu reparieren.
Sie klopfte gerade einen Nagel ins harte Holz, als ihre Kollegin Betsy mit einem Eimer Wasser, den sie am Fluss geholt hatte, hereinkam. Eine junge Familie hatte sich in Hesters Hütte eingefunden und Hester beobachtet, aber sie waren allesamt zu schüchtern gewesen, um Fragen zu stellen. Das kam Hester gerade recht. Es widersprach zwar ihren Anweisungen, wenn sie in einer solchen Situation nicht versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen, aber sie kümmerte sich nicht darum. Das rhythmische Schlagen mit dem Hammer beruhigte sie.
»Gott zum Gruße, Elizabeth!«, rief Betsy über das Hämmern hinweg.
»Priscilla, was für eine Freude!« Widerwillig ließ Hester den Hammer sinken.
Offenbar verlor der Vater der Familie dadurch, dass die beiden jungen Mädchen miteinander sprachen, die Scheu. »Entschuldigung«, schaltete er sich ein. »Aber ist das denn eine Arbeit für eine Frau? Ich meine damals – zu euren Lebzeiten –, wann war es noch, 1627?«
»Ich nehme mich aller Arbeiten an, Sir, die mein Haushalt und die Familie erfordern. Für all das hat Gott mir die Kraft verliehen«, antwortete Hester. Sie deutete zur Feuerstelle. »Die Suppe für meinen Mann kocht, nicht wahr? Das Haus ist säuberlich gefegt und die Kinder haben bereits gegessen und jäten Unkraut auf den Feldern. Ich habe alle Pflichten
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