syrenka
Hai.
Hester blinzelte. Irgendetwas lief hier falsch. Irgendetwas vernebelte ihre Urteilsfähigkeit. Sie merkte, wie sie ihre Hände zu Fäusten ballte. Und als sich ihre Fingernägel schmerzhaft in ihre Handflächen bohrten, fiel ihr wieder ein, dass sie ein Geheimnis bargen. Hester öffnete ihre Hand. Sie tat, als massierte sie mit der anderen Hand einen Finger, und spähte unterdessen in ihre Handfläche.
Peter.
War so nett.
Peter.
Ihr treuer Freund.
Hesters Zuhause lag an der Oberfläche.
»Ich will zurück an Land. Auf der Stelle.«
Noo´kas´ Lächeln erlosch. Sie schob ihren skelettartigen Schädel vor.
»Was du willst , ist in meiner Welt nicht von Interesse. Fordere mich nicht heraus, Semiramis! Du kannst nur verlieren.«
»Hester bitte! Ich heiße Hester! Ich gehöre an Land. Ich bin keine Sirene. Und ich will auch keine sein!«
Mürrisches Gemurmel machte sich unter den Dienerinnen breit.
»Komm näher«, forderte die Hexe sie auf.
Hester sah auf ihre Beine. Sie wusste, dass sie hinfallen würde, sobald sie einen Schritt machte. »Ich kann nicht.«
Noo´kas winkte kurz. Needa kam herbei, fasste Hester unter den Achseln, stellte sie unmittelbar vor den Thron und hielt sie fest.
Mit etwas, das eher eine Klaue war als eine Hand, hob Noo´kas Hesters Gesicht. Sie sah ihr in die Augen und starrte sie durchdringend an.
»Hm. So viele unglückselige Ähnlichkeiten mit Syrenka. Ich hätte dich besser umbringen sollen!« Sie langte an Hesters Hinterkopf, strich darüber und fasste eine Handvoll Haare. Sie holte sie nach vorn und beschnüffelte sie mit ihren verkümmerten Nasenlöchern. »Ein prachtvoller, satter Ton wie bei einem Seeotter – glatt und glänzend und unerträglich hübsch!«
»Ich muss zurück an die Oberfläche«, beharrte Hester mit so fester Stimme, wie sie nur konnte. Sie hatte etwas Dringendes zuerledigen: eine Besorgung machen oder jemand einen Gefallen tun ... sie war drauf und dran, sich zu erinnern.
»SCHWEIG!«
Noo´kas´ Stimme explodierte so unerwartet, dass Needa unwillkürlich fester zupackte und Hester dabei kniff.
Beinahe liebevoll ließ die Hexe Hesters Haarsträhne durch ihre krummen Finger gleiten. »Du bist jetzt eine von uns. Und du wirst für immer hierbleiben.« Sie streichelte sie erneut, dann fasste sie Hesters Haar an ihrem Hinterkopf zusammen. »Hat er dieses üppige Haar geliebt? Seine leuchtende Farbe? Hat er es gestreichelt?« Jetzt riss sie heftig daran und zwang dadurch Hesters Kinn in die Höhe, während Needa Hester weiter festhielt.
»Sieh dir diesen Hals an, Needa, wie schlank er ist und wie empfindsam. Glaubst du, sie hat ihm ihren Hals dargeboten? Und diese Lippen – haben sie um einen Kuss gebettelt?«
Sie beugte ihren Kopf weiter vor, sodass ihr riesiger, fischmaulartiger Mund schon fast Hesters Lippen berührte. Der Gestank faulender Makrelen stieg Hester in die Nase.
»Hast du wirklich geglaubt, du könntest mich übertrumpfen, mit schlichter jugendlicher Schönheit? Sie wird mit dem Alter vergehen. Dein Haar wird schütter werden, deine Lippen schmal, dein Fleisch schlaff und deine Haut fleckig. Und bevor du auch nur blinzeln kannst, wirst du deinen Geliebten verloren haben. Das ist es, was sterblich zu sein heißt. Und wenn ich darüber nachdenke, habe ich dir eine schreckliche Pein erspart, indem ich dich in die Tiefen geholt habe: den Schmerz, von ihm zurückgewiesen zu werden, sobald dein Körper verfällt.«
Ezra . Die Hexe sprach von Ezra, und plötzlich erinnerte sich Hester wieder, dass er der Grund für ihren Zorn auf Noo´kas gewesen war. Hester fasste sich an den Hinterkopf, an ihre schmerzende Kopfhaut. Sie hörte ein Knistern – Noo´kas zog ihr das Haar an den Wurzeln aus.
»Lass mich gehen!«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Ich hingegen«, fuhr Noo´kas mit widerlich schmeichelndem Ton fort, »ich hingegen werde dich ewig lieben, selbst wenn dein Körper dich im Stich lässt. Und er wird dich im Stich lassen, auch wenn du unter den Unsterblichen weilst. Denn ich kann dich zwar aussehen lassen wie eine von uns. Aber unsterblich kann ich dich nicht machen.« Mit ihrer freien Klaue zeichnete sie ein flüchtiges »S« auf Hesters Brust. »Nicht mit deinem Plagegeist von Seele.«
Die Hexe neigte ihren knochigen Schädel zur Seite und Needa schob Hesters Kopf nach vorn. Und dann küsste die Meerhexe Hester, und ihre Zunge, die rau war wie Sandpapier, drängte sich in Hesters Mund, während Needa
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