Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
Vom Netzwerk:
aufs Band gesprochen. Ich habe getan, was er mir gesagt hat, nur eben nicht, weil ich wegen ihm in Schwierigkeiten bin. Sondern weil ich gehört habe, dass er sich verletzt hat. Ich ruf ihn nicht aus einem Gefühl von Stolz heraus an.«
    »Magisches Denken«, brummte Heidi. »Das würde Reg dazu sagen. Aber das ist ja schließlich auch sein Fachgebiet. Wie wir nur zu gut wissen.«
    Die sklerotische mechanische Grille im Zimmertelefon zirpte. Einmal und ein weiteres Mal. Als es zum drittenmal klingelte, nahm Hollis den schweren Hörer von dem Rosenholzwürfel. »Hallo?«
    »Wir müssen miteinander reden«, sagte Bigend.
    »Das haben wir doch gerade.«
    »Ich schicke Aldous bei Ihnen vorbei, zusammen mit Milgrim.«
    »In Ordnung«, sagte Hollis und beschloss, dass sie ebenso gut diese Gelegenheit ergreifen und kündigen konnte. Sie legte auf. »Der Bisamrattenfresser«, sagte Heidi.
    »Ich muss mich mit ihm treffen«, sagte Hollis, »aber ich werde kündigen.«
    »Okay«, sagte Heidi, ließ sich auf den Rücken fallen, rollte zur anderen Seite des Bettes und richtete sich in einer fließenden Bewegung zu ihrer ganzen Größe auf. »Nimm mich mit!«
    »Ich glaube nicht, dass ihm das recht wäre«, sagte Hollis.
    »Gut«, sagte sie. »Dann sorge ich eben dafür, dass er dich hochkant rauswirft.«
    Hollis sah sie an. »Okay«, sagte sie.

48. Schildpatt und Nadelstreifen
    Das Hotel, in dem Hollis wohnte, hatte kein Schild, aber einen antiken Empfangstisch, in den ein nacktes Mädchen geschnitzt war, das sich allem Anschein nach in intimer Umarmung mit einem Pferd befand, wobei das Relief so kunstvoll gearbeitet war, dass Milgrim sich nicht sicher sein konnte, was da wirklich vorging, und er wollte es auch nicht allzu offensichtlich anglotzen. Ansonsten waren die Wände dunkel getäfelt, zwei Marmortreppen wanden sich nach oben, und der junge Mann, der hinter dem Tisch saß, musterte ihn unfreundlich, wobei er mit frostigem Blick durch eine Brille mit Schildpattgestell zu ihm aufschaute. Sein stämmiger Kollege in einem Nadelstreifenanzug hatte Milgrim gefragt, ob er ihm helfen könne. Dabei hatte Milgrim den Eindruck gehabt, dass er ihm vor allem dabei helfen wollte, auf dem Absatz umzudrehen und auf die Straße zurückzukehren, wo er hingehörte. »Hollis Henry«, hatte Milgrim in einigermaßen neutralem Tonfall gesagt, wie er ihn oft unter vergleichbaren Umständen bei Blue Ant gehört hatte. »Ja?«
    »Ihr Wagen ist da.« Pick-up wäre zu spezifisch gewesen. »Können Sie ihr bitte Bescheid geben?«
    »Wenden Sie sich an die Rezeption«, hatte der hochgewachsene junge Mann gesagt und war wieder zur Tür zurückgekehrt, wo offenbar sein Platz war.
    Es schien jedoch keine Rezeption zu geben, jedenfalls nicht im üblichen Sinne, mit Postfächern, vor denen jemand stand, also war Milgrim noch einmal ungefähr drei Meter zu dem Tisch gegangen, wo der andere, kleinere junge Mann im Anzug saß. »Hollis Henry«, hatte er gesagt, wieder in möglichst neutralem Tonfall, doch dieses Mal gelang es ihm nicht so gut. Er fand, dass es irgendwie unanständig klang, was aber auch an den Schnitzereien liegen mochte, die er in dem Moment bemerkte.
    »Name?«
    »Milgrim.«
    »Werden Sie erwartet?« »Ja.«
    Milgrim wich nicht von der Stelle, während der Mann, der ihn durch etwas betrachtete, das er für das echte Exoskelett eines toten, wenn nicht sogar ausgestorbenen Tieres hielt, ein äußerst elegantes, dem Anschein nach uraltes Telefon konsultierte. »Sie scheint nicht auf ihrem Zimmer zu sein.«
    Von irgendwo jenseits der Treppe ertönte ein metallisches Klappern und dann Hollis' Stimme.
    »Da ist sie ja schon«, sagte Milgrim.
    Dann erschien Hollis, begleitet von einer blassen, hochgewachsenen Frau mit Habichtsnase und stechendem Blick, die gut den Hauptmann der Wache im Palast einer Goth-Queen hätte geben können — sie trug eine enge, kurze Jacke mit gefransten Epauletten und Schnurbesatz. Die Schattierungen der Jacke reichten von Dunkelgrau bis Mitternachtsschwarz. Ihr fehlte nur noch ein Säbel, dachte Milgrim begeistert.
    »Ihr Wagen ist hier«, sagte Schildpatt - Milgrim war anscheinend unsichtbar.
    »Milgrim, das ist Heidi.« Hollis klang müde.
    Die große, überraschend kräftige Hand der hochgewachsenen Frau umfasste Milgrims Hand mühelos und schüttelte sie kurz und rhythmisch — wahrscheinlich Teil eines geheimen Erkennungssignals. Schließlich durfte Milgrims Hand die Flucht ergreifen.
    »Sie wird uns

Weitere Kostenlose Bücher