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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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seiner Hosen gestohlen.«
    »›Geschäftsanalyse.‹ Hätten Sie Laubfrosch nicht irgendeinen dahergelaufenen Russen auf den Hals gehetzt, wäre das alles viel einfacher. Und es würde mich nicht von wichtigeren Dingen ablenken. Ich bin aber auch froh, dass wir diese Angelegenheit in allen Einzelheiten besprechen konnten, und zwar unter vier Augen.«
    »Bestechliche Polizisten sind eine Sache«, sagte Milgrim. »Aber ein ehemaliger Major der Special Forces, der illegal mit Waffen handelt? Ich glaube, das ist etwas anderes.«
    »Ein Geschäftsmann. Wie ich auch.«
    »Sie hat gesagt, dass er zu allem in der Lage ist«, entgegnete Milgrim. »Sie hat gesagt, dass er eine Ausbildung gemacht hat.«
    »Das wäre nicht mein erster Waffenhändler«, sagte Bigend und stand auf. Er strich seinen Anzug glatt, der, wie Milgrim bemerkte, dringend gebügelt werden musste. »Sie und Hollis können solange ins Museum gehen und das Essen genießen. Hervorragend, wirklich.«
    »Das Essen?«
    »Was sie mit Ihnen in Basel gemacht haben. Ich bin sehr beeindruckt. Offenbar hat es eine Weile gedauert, bis es Gestalt angenommen hat.«
    »Das erinnert mich an etwas«, sagte Milgrim. »Woran?«
    »Ich habe Hunger.«
    »Sandwiches«, sagte Bigend und deutete auf eine braune Tüte auf dem Schreibtisch. »Huhn und Schinken. Vollkornbrot. Ich melde mich morgen, sobald die Reise organisiert ist. Sie werden hier eingeschlossen. Die Alarmanlage wird aktiviert. Bitte verlassen Sie den Laden möglichst nicht. Jun wird um halb elf vorbeischauen. Gute Nacht.«
    Nachdem Bigend gegangen war, aß Milgrim die beiden Sandwiches, wischte sich sorgfältig die Finger ab, zog dann seine neuen Schuhe aus, begutachtete die orangefarbenen Ledereinlagen, in die das Tanky&Tojo-Logo geprägt war, roch daran und stellte die Schuhe auf den weißen Schreibtisch. Durch seine Socken spürte er die Kälte des grauen PVC-Bodens. Die Tür zum vorderen Ladenbereich, die Bigend hinter sich geschlossen hatte, sah billig aus - wahrscheinlich eine Wabentür. Milgrim hatte einmal zugeschaut, wie ein Dealer namens Fish die dünne Holzschicht von einer solchen Tür weggestemmt hatte. Im Innern war sie randvoll mit Plastiktütchen gewesen, die nachgemachtes mexikanisches Valium enthielten. Jetzt presste er ein Ohr gegen die Tür und hielt den Atem an. Nichts.
    Saß der Urinprobenmann mit seinem Regenschirm noch immer dort? Milgrim bezweifelte es, aber er wollte sicher sein. Er drückte auf den Lichtschalter und blieb einen Moment lang im Dunkeln stehen. Dann öffnete er die Tür.
    Der Laden war erleuchtet, wenn auch nur schwach - von wackeligen Säulenlampen aus weißem Papier, die auf dem Boden standen. Von hier aus sah das Schaufenster wie einer dieser großen Cibachrome-Abzüge aus, die in Kunstgalerien hingen: wie die Fotografie einer weißen Backsteinmauer mit der Andeutung von Graffiti darauf. Jemand in einem schwarzen Kapuzenpulli hastete draußen vorbei. Milgrim schluckte. Schloss die Tür. Schaltete das Licht wieder an.
    Er ging nach hinten, ohne sich länger Mühe zu geben, leise zu sein, öffnete eine ähnliche, aber kleinere Tür, hinter der sich ein sauberer kleiner Raum mit einer sehr neuen Toilette und einem Eckwaschbecken befand. Es gab keine weitere Tür. Keinen Hintereingang. Wie meist in London üblich und anders als in Amerika, befanden sich in diesem Viertel keine Gassen, die an der Rückseite der Gebäude entlangführten.
    Er entdeckte einen jungfräulich weißen Schaumstoffzylinder - die zusammengerollte, gut zehn Zentimeter dicke Matratze. Sie war mit drei Streifen durchsichtigem Paketband umwickelt, auf das in regelmäßigen Abständen das Blue-Ant-Logo aufgedruckt war. Daneben lehnte eine dicke, überraschend kleine Wurst aus einem Material, das wie dunkel schillernde Seide aussah, und eine Plastikliterflasche stilles Quellwasser aus Schottland.
    Die oberste Schreibtischschublade enthielt die Bauanleitung von Ikea und eine Schere mit durchsichtigem Griff. Die anderen beiden Schubladen waren leer. Er benutzte die Schere, um das Klebeband durchzuschneiden. Als sich der Schaumstoff entrollte, blieben die beiden Enden nach innen gekrümmt. Er legte die Matratze mit der gewölbten Seite nach unten auf das kalte PVC und hob die Seidenwurst auf. Auf eine Seite war MontBell gestickt. Nachdem es ihm gelungen war, der Verschluss an der Kordel zu lösen, zerrte er den fest zusammengepressten Inhalt heraus. Der Schlafsack war, nachdem er ihn entfaltet hatte, äußerst

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