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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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ein weiterer Kellner stellten westlich von dem Narwalständer Paravents auf. Nicht zum ersten Mal - offenbar wollte da jemand beim Frühstück ungestört über Geschäftliches sprechen. Die Paravents waren aus etwas gefertigt, das sie für uralte Wandteppiche gehalten hatte, die zu einer unspezifischen Farbe verblasst waren, einem bunten Khaki, aber jetzt erkannte sie, dass darauf Szenen aus Disneys Schneewittchen abgebildet waren. Wenigstens schienen sie nicht pornographischer Natur zu sein. Sie wollte sich auf ihren gewohnten Platz unter den gewundenen Narwalzähnen setzen, als der junge Italiener sie bemerkte. »Für Sie ist hier gedeckt, Miss Henry«, sagte er und deutete auf den abgeschirmten Tisch.
    In dem Moment erschien Bigend am Kopfende der Treppe. Er kam herbeigeeilt, den Trenchcoat über dem Arm, die Aura seines blauen Anzugs fast schon schmerzhaft.
    »Es geht um Milgrim«, sagte er, als er an den Tisch trat. »Bringen Sie Kaffee«, befahl er dem jungen Italiener.
    »Sofort, der Herr.« Weg war er.
    »Ist Milgrim etwas zugestoßen?«
    »Milgrim ist nichts zugestoßen. Milgrim ist mir zugestoßen.« »Was meinen Sie damit?«
    »Er hat versucht, Laubfrosch, wie er ihn nennt, vor der Station Bank die Augen auszustechen. Gestern Abend.«
    »Milgrim?«
    »Mir gegenüber hat er das mit keinem Wort erwähnt«, sagte Bigend und setzte sich.
    »Erzählen Sie mir, was geschehen ist!« Sie nahm ihm gegenüber Platz.
    »Heute Morgen haben sie Voyteks Wohnung einen Besuch abgestattet. Sie haben Bobby entführt.« »Bobby?« »Chombo.«
    Als sie den Namen hörte, erinnerte sie sich daran, wer das war. Zum ersten Mal war sie ihm in Los Angeles begegnet und dann, unter völlig anderen Umständen, in Vancouver. »Er ist hier, in London? Wer hat ihn entführt?«
    »Primrose Hill. Jedenfalls bis heute Morgen.« Bigend bedachte die junge Italienerin, die mit dem Kaffee an den Tisch getreten war, mit einem wütenden Blick. Sie schenkte erst Hollis ein, dann ihm.
    »Fürs Erste genügt uns der Kaffee, vielen Dank«, sagte Hollis zu ihr, um ihr eine Gelegenheit zur Flucht zu geben.
    »Sehr gerne«, sagte die junge Frau und verschwand mit einer anmutigen Bewegung hinter dem offenbar 400 Jahre alten Disney-Paravent.
    »War das nicht dieser Mathematiker?«, fragte Hollis. »Und Programmierer? Den hatte ich völlig vergessen.« Möglicherweise weil ihr Bobby, selbst eine wenig sympathische Persönlichkeit, zu einem Zeitpunkt über den Weg gelaufen war, als sie festgestellt hatte, dass eine Bekanntschaft mit Bigend nicht ganz ungefährlich war. »Damals in Vancouver habe ich gedacht, Sie wollten ihn anwerben. Als ich mich gerade verabschiedet habe.«
    »Ein außergewöhnliches Talent. Wenn auch furchtbar eindimensional«, sagte er, offensichtlich begeistert. »Völlig manisch.«
    »Ein Arschloch«, schlug Hollis vor.
    »Unbenommen. Ich habe mich um seine Angelegenheiten gekümmert, ihn hierher verfrachtet und vor eine Aufgabe gestellt. Eine Herausforderung, bei der er seine Fähigkeiten endlich richtig ausreizen konnte. Für ihn eine völlig neue Erfahrung. Ich hätte ihm jeden Wunsch erfüllt.«
    »Da werde ich mich wohl mehr wie ein Arschloch benehmen müssen.«
    »Weil er jedoch im Wesentlichen ein Parasit ist«, fuhr Bigend fort, »der das emotionale Bedürfnis besitzt, seinen Gastgeber in den Wahnsinn zu treiben, und weil ich das Projekt separat von Blue Ant betreiben wollte, habe ich ihn bei Voytek untergebracht. Zu Hause. Gegen Bezahlung natürlich.«
    »Voytek?«
    »Mein zweiter IT-Mann. Meine verdeckte Karte im Spiel gegen Sleight. Ich weiß nicht mit Gewissheit, dass Sleight das nicht herausgefunden hat, aber offensichtlich hat er irgendwann herausgefunden, wo ich Chombo versteckt habe, während er an dem Projekt arbeitet.«
    »Was für ein Projekt ist das?«
    »Etwas Geheimes«, erwiderte Bigend und zog die Augenbrauen hoch.
    »Aber wer hat nun Bobby entführt?«
    »Drei Männer. Amerikaner. Sie haben Voytek damit gedroht, dass sie wiederkommen und ihn, seine Frau und sein Kind mitnehmen, falls er versucht, irgendjemand vor sieben Uhr heute Morgen zu alarmieren.«
    »Sie haben seine Frau und sein Kind bedroht?«
    »Voytek kennt sich mit solchen Dingen aus. Osteuropäer. Hat sie sofort beim Wort genommen. Und mich um zwanzig nach sieben angerufen. Ich habe sofort bei Ihnen angerufen. Gut möglich, dass Sie mir mit Milgrim helfen müssen.«
    »Wer war das?«
    »Laubfrosch, der Beschreibung nach. Brummelte die ganze Zeit

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