System Neustart
gemacht.«
»Woher weißt du das?« »Er lebt noch.«
Da fiel ihr auf, dass die Schneiderpuppen nackt und grau waren.
Der Designer wandte sich jetzt um und kam, von den beiden Anzügen flankiert, auf sie zu. Sie folgten ihm mit Blicken, während er an ihnen vorbeiging.
»Sind alle Leute, die Chanel sammeln, so?«, fragte sie.
»Hab so was noch nie verkauft. Komm, ich stell dir Mere vor.«
Gemeinsam umrundeten sie die orangefarbenen Möbelstücke.
Meredith Overton streichelte gerade, auf der Jagd nach Informationen, den horizontalen Bildschirm eines iPhones. Aschblond, große graue Augen. Sie blickte hoch. »Ist auf der Bank eingegangen, in Melbourne. Direktüberweisung.«
»Ein gutes Geschäft, nehme ich an?« George schenkte ihr ein breites Lächeln.
»Sehr.«
»Gratuliere«, sagte Hollis. »Hollis Henry«, sagte George.
»Meredith Overton.« Sie nahm Hollis' Hand. »Mere. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Hollis vermutete, dass ihre Jeans Hounds waren. Sie waren schmal und zu lang, und sie hatte den ausgefransten Saum nicht umgeschlagen. Dazu trug sie ein weißes Anzughemd, das ihr allerdings zu gut passte, um ein Herrenhemd zu sein.
»Die Handtaschen wollten sie nicht«, sagte Meredith. »Nur die Kostüme. Aber für die habe ich noch andere Interessenten. Händler von der Messe hier.« Sie steckte das iPhone ein.
Hollis sah aus den Augenwinkeln, wie Milgrim an ihnen vorbeischlenderte. Er hatte eine kleine Kamera in der Hand und schien an nichts Bestimmtem interessiert. Sie ignorierte ihn. »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich nehmen«, sagte sie zu Meredith. »Ich nehme an, Sie wissen, worum es geht.«
»Dieser verdammte Clammy«, sagte sie, aber es klang nicht übellaunig. »Sie sind hinter Hounds her, hab ich recht?«
»Weniger hinter dem Produkt als hinter dem Hersteller«, sagte Hollis und beobachtete dabei das Mienenspiel der jungen Frau.
»Sie wären nicht die Erste.« Meredith lächelte. »Aber da kann ich Ihnen nicht viel verraten.«
»Möchten Sie einen Kaffee?« Hollis hielt Meredith ihren Becher hin. »Ich hab ihn noch nicht angerührt.«
»Nein, vielen Dank.«
»Hollis hat uns wirklich sehr geholfen«, sagte George. »Mit Inchmale.«
»Ein grässlicher Kerl«, sagte Meredith zu Hollis.
»Das ist er«, pflichtete Hollis ihr bei. »Und auch noch stolz darauf.«
»Ich mache mir keine so großen Sorgen mehr«, sagte George, wobei es Hollis schwerfiel, sich vorzustellen, wie er sich um etwas Sorgen machte. »Hollis weiß aus Erfahrung, wie Reg arbeitet. Sie hat alles ins rechte Licht gerückt.«
Meredith nahm jetzt doch Hollis' Becher und nippte vorsichtig an dem Schlitz im Plastikdeckel. Rümpfte die Nase. »Schwarz«, sagte sie.
»Möchten Sie Zucker?«
»Du setzt mich da ganz schön unter Druck, was?«, sagte Meredith zu George.
»Das stimmt«, erwiderte er. »Und ich habe gewartet, bis du bester Laune bist.«
»Wenn dieses kleine Arschloch nicht meinen Preis gezahlt hätte, wäre ich das nicht.«
»Wohl wahr«, sagte George, »aber das hat er.«
»Ich glaube, der zieht sie selber an«, sagte Meredith. »Für schwul halte ich ihn allerdings nicht. Dann wäre das nämlich in Ordnung. Er wollte alles genauestens dokumentiert haben - ich musste ihm alles mitteilen, was wir über die ursprüngliche Besitzerin hatten. Seitdem habe ich das Gefühl, ich müsste dringend duschen.« Sie nahm einen weiteren Schluck Kaffee und reichte Hollis den Becher zurück. »Sie möchten wissen, wer die Hounds entwirft.«
»Ja, genau.«
»Schicke Jacke.«
»Ein Geschenk«, sagte Hollis, was zumindest theoretisch wahr war.
»So eine wäre jetzt kaum noch aufzutreiben. Sie werden seit einigen Saisons nicht mehr hergestellt. Allerdings richten sie sich auch nicht nach Saisons im üblichen Sinn.«
»Nicht?« Sorgsam darauf bedacht, die Frage zu umgehen, wer »sie« eigentlich waren.
»Falls sie diese Jacke irgendwann noch einmal produzieren, wird sie ganz genau gleich geschnitten und gemustert sein. Vielleicht aus einem anderen Stoff, aber den Unterschied würde nur ein Otaku bemerken.« Sie fing an, die schmalen Sicherungskabel einzusammeln, mit denen die Chanelkostüme an den Schneiderpuppen festgemacht gewesen waren, bis sie sie in einer Hand hielt wie ein eigenartiges Bukett.
»Ich glaube, das verstehe ich nicht«, sagte Hollis.
»Dabei geht es um Zeitlosigkeit. Und darum, sich der Industrialisierung des Ungewöhnlichen zu entziehen. Der Code reicht tiefer.«
Was Hollis an etwas
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