T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
sieht anders aus. Das musst du doch selbst erkennen!«
Ian blickte sich Zustimmung heischend um, doch niemand sagte ein Wort.
»Wir spüren es alle, Ava«, fuhr er unbeirrt fort. »Auch wenn ich es prima finde, dass du deinen Sohn nicht aufgibst, kann ich doch deine Methoden, ihn zu finden, nicht gutheißen. Du versuchst, uns die Schuld für sein Verschwinden in die Schuhe zu schieben, und das ist weder richtig noch normal. Alle hier fürchten, ihre Arbeit zu verlieren oder dass du sie von der Insel wirfst, deshalb wehren sie sich nicht dagegen.« Er trat auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Hör auf damit.«
Und dann verließ er das Zimmer.
»Ian hat recht«, sagte Jacob. »Ich habe keine Ahnung, wie es euch geht, aber ich selbst habe dieses ganze Gejammer und die Vorwürfe satt. Diese ganze verfluchte Hysterie!« Er hob die Hand, wie um Widerspruch zu ersticken, und wandte sich an Ava. »Dein Sohn ist tot. Punkt. Du solltest besser lernen, damit klarzukommen, und nach vorn schauen.«
Khloe schnappte nach Luft. »Jacob!«, protestierte sie.
Ava hatte das Gefühl, als habe man ihr einen Fausthieb in den Magen verpasst.
»Was? Das schockiert euch? Im Ernst?« Jacob sah von einem zum anderen. »Das denken wir doch alle!«
Wyatt flog förmlich durchs Zimmer. »Raus hier!«, knurrte er und baute sich drohend vor Jacob auf. »Eine Frau ist ermordet worden, verflucht noch mal!«
»He!« Jacob hob abwehrend die Hände. »Nun reagier mal nicht über. Ich rede lediglich Klartext.« Wieder ließ er den Blick über die Gesichter der anderen schweifen, doch niemand wollte ihm beispringen. »Typisch!«, fauchte er und stapfte aufgebracht aus dem Zimmer. Seine Springerstiefel donnerten über den Hartholzboden. Erschrocken schoss Mr. T. unter dem Sofa hervor Richtung Küche, wobei er beinahe mit Demetria zusammengestoßen wäre.
Khloes Handy klingelte. Sie nahm das Gespräch an und verließ, das Telefon dicht ans Ohr gedrückt, das Zimmer.
Vielleicht hatten Ian und Jacob recht, dachte Ava. Vielleicht reagierte auch sie tatsächlich über, machte aus einer Mücke einen Elefanten.
Sah Schatten und Intrigen, wo nichts war.
Doch das bezweifelte sie.
Und der Mord an Cheryl Reynolds zeigte ihr mehr als deutlich, dass sie mit ihren Vermutungen richtig lag.
Kapitel vierundzwanzig
S nyder stieg aufs Fahrrad, richtete den Riemen seines Helms und trat in die Pedale. Er musste allerhand Spott über sich ergehen lassen, weil er mit seinem alten Zehn-Gang-Rad zur Arbeit fuhr, doch seit er das tat, hatte er fast dreißig Pfund abgenommen und außerdem seinen Blutdruck sowie seine Cholesterinwerte gesenkt. Also ertrug er gern den Regen, die Kälte und die schlechten Witze seiner Kollegen.
Aus einer Laune heraus unternahm er heute auf der Heimfahrt einen Abstecher zum Hafen und atmete tief den Geruch des brackigen Wassers, vermischt mit Diesel, ein. Er stieg ab und blickte über die schaumgekrönten Wellen, die in die Bucht von Church Island rollten, zur Bastion der Familie Church.
Nebel zog auf, dichte Schwaden verschleierten ihm die Sicht – genau wie der ganze Unfug, der über Ava Church Garrison kursierte, ihm die Sicht auf seinen eigentlichen Fall, den Mord an Cheryl Reynolds verschleierte. Inzwischen war es dunkel, doch an einem klaren Abend konnte man die vereinzelten Lichter von Monroe erkennen, die Fähranlegestelle und sogar helle Flecken, die durch die Fenster von Neptune’s Gate fielen, diesem Ungetüm von altem Herrenhaus. Ihm war aufgefallen, dass nur im Erdgeschoss und im ersten Stock Licht brannte, der zweite Stock unter dem Dach war stets dunkel, doch von Anchorville aus sah man auch nur die Vorderseite des Kastens.
Außer damals, als der Junge verschwunden war, hatte er nie nach Church Island übergesetzt, hatte nie viele Gedanken an das Haus oder seine Einwohner verschwendet. Natürlich hatte er Gerüchte gehört, doch er hatte nichts darauf gegeben.
Er radelte weiter, bog in eine schmale Seitenstraße ein und wich einem im Leerlauf in zweiter Reihe parkenden Laster aus, dessen Fahrer Bierfässer für ein nahegelegenes Lokal auslud.
Nun gelangte er auf eine Straße, die parallel zum Wasser verlief. Wenngleich er sich auf den Verkehr konzentrierte, schossen ihm allerhand Gedanken durch den Kopf, wie immer beim Fahrradfahren. Der Mord an der Hypnotiseurin, die auch Ava Garrison zu ihren Klienten gezählt hatte, ließ ihm einfach keine Ruhe. Ihm fehlten sowohl ein Motiv als auch die
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