T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
hatte ein wasserdichtes Alibi. Und abgesehen von dem Suizidversuch gab es in ihrem Umfeld keine Gewalttätigkeiten zu verzeichnen. Es ging das Gerücht, dass sie einst eine knallharte Geschäftsfrau gewesen sei, ein richtiges Biest, doch dann war sie Mutter geworden und hatte ihr einziges Kind verloren.
Er schnitt eine Grimasse. So etwas war wirklich schrecklich.
Nachdem sie vor ein paar Tagen überraschend in seinem Büro aufgekreuzt war, um Akteneinsicht zu verlangen, hatte sich Snyder den Fall noch einmal vorgenommen. Die Ermittlungen hatten nichts ergeben, das Kind blieb spurlos verschwunden. Ein Erpresserbrief war nicht eingegangen, niemand hatte Lösegeld von den Garrisons verlangt. Genau aus diesem Grund nahm Snyder an, dass es einen tödlichen Unfall gegeben und der Verursacher – wer immer das sein mochte – den Leichnam beiseitegeschafft hatte, doch das konnte er nicht beweisen. Vermutlich lag der kleine Noah irgendwo auf dem Grund der offenen See.
Ob die Mutter schuld daran war? Unwahrscheinlich.
Obwohl er ihre psychischen Probleme nicht außer Acht lassen durfte.
Frustriert trommelte er mit den Fingern auf der Schreibtischplatte und ging im Kopf noch einmal sämtliche Hinweise durch.
Er war so vertieft in seine Gedanken, dass er Biggs, der eben seine Bürozelle betrat, gar nicht bemerkte. Erst als der Sheriff sich räusperte, blickte Snyder auf und sah den massigen Mann vor seinem Schreibtisch stehen.
Biggs hatte seine Lesebrille auf den Kopf geschoben und kaute hingebungsvoll einen Kaugummi. »Gibt’s was Neues im Fall Reynolds?«
»Ich gehe gerade den Obduktionsbericht und das Spurenmaterial durch, aber nein, bisher nicht.«
Biggs runzelte die Stirn. Kaute noch energischer. »Die Presse sitzt mir im Nacken, und ich würde ihr gern etwas Futter geben.«
Das hätte er sich denken können! »Sobald ich etwas habe, werde ich Natalie anrufen.« Snyder dachte an die zierliche, drahtige Pressesprecherin und stellte fest, dass er sie nicht um ihren Job beneidete.
»Je früher, desto besser. Ich kann mir keinen ungelösten Mordfall erlauben.« Er schüttelte den Kopf. Die Lesebrille rutschte ihm von seinem grau werdenden Bürstenhaarschnitt. Er klappte sie zusammen und steckte sie in die Hemdtasche. »Außerdem habe ich die Nase gründlich voll von den Anrufen meiner Ex-Schwägerin, die mir ständig erzählt, was da draußen auf der Insel los ist – im Garten vergrabene Puppen und anderer Mist.« Er schnaubte genervt. »Virginia weiß scheinbar nicht, was
ex
bedeutet.« Mit gerunzelter Stirn fuhr er fort: »Es gibt nach wie vor keinen Hinweis auf Lester Reece, oder? Den Happen würde ich der Presse liebend gern hinwerfen!«
»In letzter Zeit hat ihn niemand gesehen, Sir.«
Biggs kniff die Augen zusammen, als überlege er, ob der Detective ihn auf den Arm nehmen wollte. »Was wollen Sie damit sagen, Snyder?«
»Nun, das Ganze liegt schon eine Weile zurück. Ich denke, er ist damals ertrunken, ins offene Meer hinausgerissen worden. Womöglich haben ihm Haie oder Orkas den Garaus gemacht.«
»Trotzdem.«
»Wir halten immer ein Auge nach ihm offen.«
»Gut«, knurrte Biggs und wandte sich zum Gehen. Plötzlich zuckte er zusammen. »Verdammtes Knie. Schmerzt manchmal höllisch.« Es ging das Gerücht, der Arzt habe ihm zur Operation geraten, aber Biggs, sturköpfig wie immer, wolle davon nichts wissen. Sein Kaugummi malträtierend, humpelte Biggs steifbeinig durch das Großraumbüro zum hinteren Teil des Gebäudes, in dem sich die Küche, der Aufenthaltsraum und die Toiletten befanden.
Snyder wandte sich wieder seiner Arbeit zu und blickte kaum auf, als er Lyons näher kommen hörte.
»Irgendwas Neues?«, fragte er, die Augen auf den Obduktionsbericht geheftet.
»Ich habe mir ihre Klientendateien kopiert. Werde sie mir gleich mal vornehmen.«
»Sind die vertraulich?«
Morgan verdrehte die Augen und blickte zur Decke, dann schüttelte sie den Kopf. »Nur bei Ärzten, Psychologen oder Anwälten, und zu denen zählte sie nicht. Ich hoffe bloß, ich stoße auf irgendetwas, das uns hilft, den Mörder zu schnappen.«
Dern stand am Wassertrog, wo er einen lecken Hahn reparierte, und beobachtete Ava, die soeben das Haus verließ. Mit dem Schraubenschlüssel zog er die neue Spindelschraube fest. Jetzt würde der Hahn nicht mehr tropfen. Ava eilte die Auffahrt hinunter zur Straße. Seltsam, dass sie den Wagen stehen ließ, doch vermutlich war der eher spärliche Fährverkehr der Grund dafür.
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