T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
Bild, auf dem sie zu sehen war, hatte sie der Kamera entweder den Rücken zugewandt oder es handelte sich um eine Porträtaufnahme. Kein einziges befand sich darunter, das ihre Schwangerschaft bestätigt hätte.
»Warum quälst du dich damit?«, fragte Wyatt.
Ava antwortete nicht, suchte weiter. Ihre Finger flogen über die Tastatur, sie scrollte sich durch eine Datei nach der anderen, fand nichts, doch dann …
Noah!
Da war er. Urplötzlich war ihr Sohn das Motiv sämtlicher Aufnahmen. Sie zeigten ihn, wie er aus dem Krankenhaus nach Hause kam, wie er zum ersten Mal allein sitzen konnte, wie er krabbeln und anschließend laufen lernte. Es gab auch Videos; Ava hatte sie in den vergangenen zwei Jahren Hunderte Male angeschaut, um die Erinnerung an ihn lebendig zu erhalten. Sie spürte, wie ihr übel wurde. Irgendetwas stimmte hier nicht … ganz und gar nicht. Aber Noah war real. Die Fotos und Videos bewiesen, was ihre Erinnerung ihr sagte. Sie lehnte sich zurück.
»Ich glaube nicht, dass ich …« Sie schluckte mühevoll, dann zwang sie sich, weiterzusprechen. »Haben wir Noah adoptiert?« Ihr Kopf dröhnte. »Ist es so gewesen?«
Wyatt antwortete nicht. Drehte den Kopf zur Seite, was ihr als Antwort genügte.
Die Stille im Raum dehnte sich bis ins Unerträgliche. Ava hörte ihren Herzschlag in den Ohren und wünschte sich inständig, sie könnte ihre Worte zurücknehmen. Lieber Himmel, konnte das wahr sein? War sie gar nicht Noahs Mutter?
»Sag es ihr«, drängte Jewel-Anne. Ava fuhr herum und warf ihrer Cousine einen durchdringenden Blick zu. In deren Augen glitzerte Bosheit.
Avas Welt drohte zusammenzubrechen.
»
Du
wusstest es?«, fragte sie. Dann, an Wyatt gewandt: »Was sollst du mir sagen?« Sie versuchte, das Hämmern in ihrem Kopf zu ignorieren, und wappnete sich gegen das, was kommen würde. Nachdem sie so lange nach der Wahrheit gesucht hatte, fürchtete sie sich nun davor. Ihre Augen wanderten zurück zum Computer mit den unzähligen Noah-Fotos.
Ihr
Baby.
Ihr
Sohn.
Jewel-Anne hielt es nicht länger aus. »Natürlich bist du nicht seine Mutter!«
»Halt den Mund!«, fuhr Wyatt sie an.
Mit anklagendem Blick wandte sich Ava an ihren Mann. »Was hat das zu bedeuten, Wyatt?«
Er schien einen inneren Kampf mit sich auszufechten, doch schließlich sagte er: »Du
bist
Noahs Mutter, selbstverständlich bist du das. Aber …« Seine Kiefermuskeln arbeiteten. »Du hast ihn nicht zur Welt gebracht. Es war eine private Adoption.«
Ava rührte sich nicht. Konnte kaum atmen. Ihr Herz hämmerte. Am liebsten hätte sie alles weit von sich gewiesen, doch sie spürte, dass das, was sie nun hörte, die Wahrheit war, zumindest ein Teil davon.
»Du warst im sechsten Monat und hattest noch kaum einen Bauch. Dann hast du das Baby verloren.«
Ihr Herz zerfiel in tausend Stücke. Eine Woge des Schmerzes brach über sie herein.
»Wie du weißt, war das nicht deine erste Fehlgeburt, aber dieser Junge war am weitesten herangereift«, erklärte Wyatt ruhig, die Augen dunkel vor Kummer. »Du hast es furchtbar schwer genommen. Hast den Bezug zur Realität verloren. Eine Adoption schien mir die richtige Entscheidung zu sein. Ich wusste von einem Teenager, der ungewollt schwanger war. Die junge Frau wollte das Baby über unsere Kanzlei zu einer privaten Adoption freigeben. Das Timing war perfekt. Sie hat ihr Kind unmittelbar nach dem Bootsunfall zur Welt gebracht. Du warst noch dabei, dich zu erholen, deshalb beschlossen wir, niemandem zu erzählen, dass das Baby adoptiert war.«
»Und niemand hat Fragen gestellt?« Ava schüttelte den Kopf. »Das Personal …«
»Ist gut für sein Schweigen bezahlt worden.«
»Und keiner hat ein Sterbenswörtchen verlauten lassen?« Das konnte doch nicht wahr sein! Sie deutete mit dem Finger auf Jewel-Anne und fragte ungläubig: »
Sie
wusste davon und hat nichts gesagt?«
»Wenn es sein muss, kann ich ein Geheimnis für mich behalten.« Jewel-Anne warf eingeschnappt den Kopf zurück.
»Und warum
musste es sein?
«
»Weil es das Beste für alle Beteiligten war. Vor allem für
dich
«, erwiderte Jewel-Anne schnippisch. Abwesend streichelte sie ihrer unvermeidlichen Kewpie den Kopf, und Ava musste unweigerlich an die Noah-Puppe in dem kleinen Metallsarg denken. Sie war sich nach wie vor sicher, dass Jewel-Anne auf die eine oder andere Art und Weise hinter diesem unheimlichen Begräbnis steckte.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass du etwas zu meinem Besten tust«, erklärte
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