T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
Vater beim Autofahren nicht irgendeinen Aussetzer, der seine Frau das Leben gekostet hat?«
»Onkel Crispin, ja. Damals ist Regina gestorben, seine erste Frau.«
Tanya sah Ava an, und sie wussten beide, was die andere dachte: dass der Unfall vermutlich kein echter Unfall gewesen war, dass Onkel Crispin bereits ein Verhältnis mit Piper hatte und eine Scheidung schlichtweg zu teuer gewesen wäre. Man hatte ihm nichts beweisen können, doch der Verdacht war hängen geblieben.
»Ja, wir sind wohl alle etwas verrückt«, gab Ava zu, »aber im Augenblick bin ich die Verrückteste.«
»Noahs Verschwinden hat dich aus dem Gleichgewicht gebracht, deshalb kann man dir keinen Vorwurf machen. Du bist ausgeflippt. Das wäre ich auch.«
Ava überlegte kurz, dann sagte sie: »Tanya, kann ich dir etwas anvertrauen?«
Ihre Freundin beugte sich vor. »Oh, irgendein dunkles Geheimnis?«
»Als Noah vermisst wurde, haben wir die gesamte Insel abgesucht. Ich bin sogar die baufällige Holztreppe von der Klippe zum Strand hinuntergestiegen und habe die ganze Nacht dort unten verbracht.«
Sie nickte.
»Aber wenn ich Noah jetzt sehe, steht er immer auf dem Anleger. Es gibt keinerlei nachweisbaren Zusammenhang zwischen seinem Verschwinden und dem Bootshaus oder der Pier, trotzdem ist er da. Und das kommt mir so verdammt real vor.«
Tanya starrte ihre Freundin an. Ava wappnete sich bereits für einen weiteren schulmeisterlichen Vortrag bezüglich ihrer Wahnvorstellungen – sie wünsche sich so sehr, dass Noah noch am Leben ist, dass ihr Verstand ihr falsche Tatsachen vorspiegele, falsche Hoffnung in ihr wecke und so weiter –, doch stattdessen umschloss Tanya Avas Hand mit ihrer.
»Okay, sagen wir mal, er ist am Leben.« Sie nickte bedächtig.
Ava traute kaum ihren Ohren. Jemand hörte ihr tatsächlich zu! »Er sieht noch genauso aus wie beim letzten Mal, als du ihn gesehen hast, vor zwei Jahren. Er hat sich nicht verändert.«
»Versuchst du gerade, mir das auszureden?«
»Nein! Es ergibt nur einfach keinen Sinn. Vielleicht solltest du herausfinden, was zum Teufel da vor sich geht.«
»Was meinst du damit?«
»Entweder halluzinierst du, oder du hast einen Geist gesehen …«
Ava zog ihre Hand fort. Die Richtung, die das Gespräch nahm, gefiel ihr gar nicht.
»Oder jemand spielt mit dir und gibt sich alle Mühe, dass du den Verstand verlierst.«
»Aber wie?«
»Keine Ahnung. Psychopharmaka? Halluzinogene?«
Ava dachte an die Tabletten, die sie einnehmen sollte. »So oder so, du behauptest also, dass Noah nicht wirklich da ist, sondern nur in meinem Kopf.«
»Nein, das sage nicht ich, das sagst du selbst. Inzwischen wäre er vier Jahre alt; selbst wenn er noch am Leben ist, müsste er anders aussehen als damals.«
Sie fröstelte. »Du meinst, jemand möchte mich glauben machen, dass er lebt, auch wenn das gar nicht der Fall ist?«
»Das weiß ich nicht. Du siehst Noah, richtig? Keine lila Drachen oder Palmen auf Eisbergen oder deine verstorbene Mutter, und auch nicht Kelvin. Nur Noah. Ich bin nicht sicher, ob man mit psychotropen Substanzen ein ganz bestimmtes Trugbild heraufbeschwören kann. Trotzdem erscheint dir nur dein Sohn. Das muss doch einen Grund haben.« Sie griff zu ihrer Gabel.
»Willst du damit andeuten, jemand
möchte,
dass ich ihn sehe?«
»Nein, ich denke nur, jemand möchte, dass du glaubst, du bist verrückt. Und du benutzt Noah. Oder, genauer formuliert, deine Trauer benutzt Noahs Bild.«
»Aber warum sollte jemand so etwas tun?«
»Das musst du selbst beantworten. Wer würde am meisten davon profitieren, wenn du von der Bildfläche verschwindest? Oder in eine Anstalt eingewiesen wirst?«
»Von der Bildfläche verschwindest? Du meinst, wenn ich tot wäre?«, fragte Ava entsetzt.
»Nein, nicht tot.« Tanya schüttelte so heftig den Kopf, dass ihre Locken hüpften. »Das wäre zu einfach.«
»Wie bitte?«
»Jemanden zu töten, ist leicht. Es gibt tausend Möglichkeiten, einen Menschen zu beseitigen, Waffen, Auftragsmörder, Tabletten, was auch immer. Das Problem ist, ungeschoren davonzukommen. Wenn du dir die Hände nicht schmutzig machen willst, treib dein Opfer mit Psychospielchen in den Wahnsinn.«
»Langsam machst du mir richtig Angst«, sagte Ava mit einem schiefen Lächeln.
»Ha, ha, ha. Kann ja sein, dass ich mich irre. Aber was ist, wenn tatsächlich jemand versucht, dich davon zu überzeugen, dass du verrückt geworden bist … völlig durchgeknallt?«
»Um mich loszuwerden?«,
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