T Tödliche Spur: Thriller (German Edition)
Anchorville abholen und auf die Insel übersetzen.«
Sie schaute über das kalte, dunkle Wasser. »Ich hatte keine Ahnung, wann er zurück sein würde.«
Ohne den Motor abzustellen, vertäute Butch die
Holy Terror
am Anleger. Ava zog seine Wetterjacke aus und hängte sie über die Rückenlehne eines der Sitze.
»Danke«, sagte sie und gab ihm das Geld für die Fahrt.
»Jederzeit, kleine Schwester«, erwiderte er mit einem flüchtigen Lächeln.
Ava ging die Steinstufen hinauf, die zur Eingangstür führten. Schon im Foyer empfing sie der Duft nach Schweinebraten, der aus der Küche durch die Gänge zog.
Plötzlich bemerkte sie, dass die Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes einen Spaltbreit offen stand. Sie legte ihre Handtasche auf das Tischchen bei der Garderobe, hängte ihren immer noch klitschnassen Strickmantel auf und schlich auf leisen Sohlen zu Wyatts Büro. Vorsichtig spähte sie durch den Türspalt und sah Jewel-Anne im Dunkeln an seinem Schreibtisch sitzen. Die Vorhänge waren zugezogen, das einzige Licht im Zimmer stammte von Wyatts Computerbildschirm.
Ava räusperte sich. Jewel-Anne fuhr zusammen, blickte auf und versuchte, vom Schreibtisch wegzurollen, doch es war zu spät: Ein Rad verfing sich an einem der Beine von Wyatts Schreibtischstuhl, der ein Stück zur Seite geschoben war.
»Erwischt!«, sagte Ava leise, lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich hatte etwas vergessen und wollte nur nachsehen, ob ich es hier finde.«
»Du hast etwas auf Wyatts Schreibtisch vergessen? Auf seiner Computertastatur?«
Jewel-Anne nickte; dann traf ihr Blick auf Avas, und sie gab auf. »Na schön, dann hast du mich eben erwischt. Ich habe geschnüffelt.«
»Geschnüffelt.«
»Hier gehen … nun ja … merkwürdige Dinge vor.«
»Ach.« Und das sagte ausgerechnet Jewel-Anne?
»Ich habe gehört, wie du dich mit Wyatt gestritten hast« – sie rollte auf Ava zu, die immer noch am Türrahmen lehnte, und blickte an ihr vorbei ins Foyer –, »und ich dachte, du solltest es wissen. Ich habe ihn auch gehört.«
»Ihn?« Ava erstarrte. »Wyatt?«, fragte sie, doch sie kannte die Antwort, noch bevor ihre Cousine sie aussprach.
»Noah. Ich habe den Kleinen weinen gehört.«
Avas Knie fingen an zu zittern. War das ein Trick? Auf unsicheren Beinen ging sie zu Wyatts Schreibtisch hinüber und stützte sich mit der Hand an der Platte ab. »Das hast du nicht.«
»Doch, ich habe ihn gehört! Jemand hat gerufen und geweint, und für mich klang das so, als sei es ein Kleinkind.«
Na gut, belass es fürs Erste dabei.
»Was hattest du am Computer zu schaffen?«
Ihre Cousine hob abwehrend die Hände. »Ich dachte, das Weinen sei aus diesem Raum gekommen.«
»Nein.«
»Noahs Kinderzimmer liegt direkt darüber«, erklärte Jewel-Anne rundheraus.
»Ja, aber …«, setzte Ava an, doch ihr Blick schweifte bereits zur Decke. Ihre Cousine hatte recht, Noahs Zimmer lag direkt über dem von Wyatt.
»Die Heizungsrohre.« Jewel-Anne rollte zu der Stelle unter dem verkleideten Schacht an der Decke, der mit dem des Kinderzimmers verbunden war. »Ich weiß noch, wie wir hier als Kinder gespielt haben. Wir haben uns durch die Öffnungen in den Schächten unterhalten und versucht, uns gegenseitig ›auszuspionieren‹.«
Ava erinnerte sich nur zu gut an die Spiele, wie sie durchs Haus getobt waren, sich gegenseitig gejagt oder Verstecken gespielt hatten, und ja, eben auch »Spion«.
»Ich habe immer versucht zu hören, was Jacob und Kelvin gerade machten«, gab Jewel-Anne zu. »Von hier aus bekam man am besten mit, was oben vor sich ging.«
Aus dem Augenwinkel sah Ava einen Schatten an der Tür vorbeihuschen, doch Jewel-Anne, die davon offenbar nichts mitbekommen hatte, plapperte weiter. »… also habe ich gedacht, ich könnte hier mal nachsehen …«
Ihre Worte verklangen, als Ava einen Finger auf die Lippen legte und ihr stumm bedeutete, zu schweigen. Mit großen Augen sah ihre Cousine zu, wie sie zur Tür schlich und hinausspähte.
Natürlich war keine Menschenseele zu sehen. Oben im ersten Stock summte Graciela, aus der Küche drang das Klappern von Pfannen und Töpfen, sonst war alles still.
»Was ist?«, flüsterte Jewel-Anne. Ihre Augen hinter der dicken Brille sahen riesig aus.
»Nichts, glaube ich. Aber … weißt du was? Ich bin dir wirklich dankbar, dass du versuchst, mir zu helfen. Ich bin froh, dass du bestätigst, was ich gehört habe, auch wenn du in Wyatts Büro
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