Taberna Libraria
Vorsichtig setzte sie das verzierte Kästchen auf der Tischplatte ab.
Blutschatten zog es zu sich heran und betrachtete zuerst eingehend die Schnitzereien. "Die sind aus dem Schneemeer", stellte er fest.
"Das hat der Händler auch gesagt. Aber ist das denn etwas Besonderes?"
Blutschatten schürzte die Lippen. "Genaugenommen nicht. Allerdings sind diese Schnitzereien von besonderer Kunstfertigkeit, selbst für einen Handwerker des Schneemeeres. Da liegt es durchaus nahe, dass dieses Kästchen einen bestimmten Zweck erfüllen soll." Langsam klappte er den Deckel zurück und betrachtete die Gegenstände im Inneren.
Nachdem er eine Weile so dagesessen hatte, ohne etwas zu sagen, wandte er den Kopf in Richtung Tresen, ließ einen Moment suchend seinen Blick umherschweifen und stieß dann einen durchdringenden Pfiff aus. "Shan!"
Der Mann, der bei ihrem Eintreten auf der Theke gesessen hatte, tauchte daraufhin aus einer Gruppe lachender Seeleute auf und kam zu ihnen herüber. Er war von kleiner, sehniger Gestalt und trug -wie auch Blutschatten selbst- ausschließlich schwarze Kleidung. Unter dem schlichten Kopftuch fielen ihm seine schwarzen Haare bis auf die Schultern und schwarz war auch sein kurzer Kinnbart, durch den eine helle Narbe bis hinab zu seiner Kehle verlief. Eine weitere Narbe hatte seine rechte Braue gespalten und zog sich weiter über seine Stirn, wo sie unter dem Tuch verschwand. Doch sein auffälligstes Merkmal waren seine, von dunklen Lidstrichen umrandeten, Augen. Weder Corrie noch Silvana hatten jemals so helle Augen gesehen. Ihr Blau war so blass, dass es kristallen wirkte und sich die Pupille ungewöhnlich scharf davon abhob.
Ein leises, warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er sich stumm vor ihnen verbeugte.
Blutschatten nickte ihm zu. "Kushann Nam'Thyrel. Mein Erster Offizier an Bord der
Pandemonium
." Der Elf hob die Hand zu den beiden Freundinnen. "Miss Corrie Vaughn und Miss Silvana Livenbrook. Sie haben den Buchladen jenseits des Portals in Woodmoore wiedereröffnet."
"Ist mir eine Freude Sie kennenzulernen, meine Damen." Er verneigte sich noch einmal, bevor er sich an den Werwolf wandte. "Und dich habe ich schon lange nicht mehr hier gesehen, Yazeem. Geht es dir gut?"
"Jetzt, wo ich wieder zwischen den Welten wandeln kann, wie es mir beliebt, geht es mir sehr viel besser."
"Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Und wir werden deine Rückkehr noch ausgiebig begießen, mein Freund." Kushann warf seinem Kapitän einen fragenden Blick zu. "Und, Sir? Etwas Besonderes, weswegen du mich gerufen hast?"
Blutschatten wiegte leicht den Kopf. "Setz dich, Shan. Ich möchte, dass du dir etwas ansiehst. Vielleicht wirst du schlau daraus."
"Ich kann es gerne versuchen." Der Erste Offizier zog sich einen freien Stuhl vom Nachbartisch heran. Der vormalige Besitzer schlief selig schnarchend unter dem Tisch ausgestreckt und störte sich nicht weiter daran. Erwartungsvoll wanderten Kushanns seltsame Augen von einem zum anderen. "Worum geht es?"
"Ich habe da etwas auf dem Markt erworben", begann Corrie und schob das Kästchen von Blutschatten zu Kushann herüber. "Bisher kann mir niemand wirklich sagen, was ich da eigentlich gekauft habe. Und der Händler wusste offenbar auch nichts vom Inhalt. Aber die Schatulle gefiel mir auf Anhieb."
Der Erste Offizier nickte leicht und schenkte ihr ein verstehendes Lächeln. "Ein sehr schönes Stück, in der Tat. Dafür könnte man so manche Kehle durchschneiden." Als er die schockierten Blicke von Corrie und Silvana bemerkte, lachte er auf. "War nur Spaß!" Seine Finger strichen gefühlvoll über die Schnitzereien im Deckel, über die Muscheleinlagen an der Vorderseite und das winzige Silberschloss, bevor er das Kästchen aufklappte und den Inhalt betrachtete, wie sein Kapitän vor ihm.
Zuerst nahm er die Linse in die Hand. "Ein Sichtglas", stellte er fest.
"Nur nicht besonders groß", bemerkte Yazeem.
"Und ohne Einfassung." Kushann hielt es zwischen den Fingern und sah hindurch. "Aber sehr stark." Er legte es zurück und nahm die Nadel zur Hand. "Fischbein?"
Blutschatten nickte. "So eine bekommt man auf nahezu jedem Markt."
"Vor allem im Schneemeer", stimmte sein Offizier zu und nahm die Karten vom Samtboden. Aufmerksam sah er das gesamte Deck durch. Dabei gab er immer wieder mehr oder weniger bestimmte Brummlaute von sich. Als er wieder bei der ersten Karte angekommen war, runzelte er die Stirn und zupfte nachdenklich an den drei Ringen in seinem
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