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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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Sofia in dieser Stadt geschlafen hatte. Er dachte daran, wie der andere Mann ihren Körper berührt hatte, ihre Haut unter dem Sommerkleid, ihre Schlüsselbeine und die blasse Narbe über ihrer linken Augenbraue.
    »Verstehst du, Sebastian, Goya stellte mit dem Bild die Männer seiner Zeit bloß: Sie starrten nur noch eine nackte Frau an, keinen Engel und keine Göttin. Sie hatten keine Ausrede mehr. So wurden diese Männer nackt, nicht Maja«, sagte Sofia.
    Auf einer Tafel neben den Bildern stand auf Spanisch und Englisch, dass unklar sei, ob Maja die Herzogin von Alba oder eine andere Frau ist.
    »Wer ist die Herzogin von Alba?«, fragte Eschburg.
    »Wahrscheinlich war sie die Geliebte Goyas«, sagte Sofia. »Goya verbrachte einen Sommer auf ihrem Landgut, ihr Mann war zuvor gestorben. Er malte ein Bild für sie, eine Liebeserklärung. Die Herzogin, ganz in Schwarz, zeigt auf den Boden. Dort steht im Sand: ›solo Goya‹, ›allein Goya‹. Aber das Wort ›solo‹ bedeutet auch ›nur‹. Der Geliebte der Herzogin war ›nur Goya‹, nur der Maler, ein Niemand. Viele Leute glauben, die Maja sei diese Herzogin. Vielleicht stimmt es, vielleicht aber auch nicht.«
    Sie blieben noch lange in dem kleinen Saal vor den beiden Gemälden stehen. Es war warm. Sofia stand neben ihm, sie war lebendig und atmete und sie gehörte hier ganz zu ihm. Und dann hatte er Angst, sie zu verlieren, weil er war, wie er war.
    »Maja ist das richtige Bild«, sagte er.
    Später gingen sie in jedes Antiquitätengeschäft auf dem Weg. Endlich fand sie, was sie suchte: eine alte Zigarrenkiste aus Blech, auf ihrem Deckel war ein Bild der »nackten Maja«, die Farben waren ausgeblichen. Sie sagte, früher habe es überall diese Kistchen gegeben, die Zigarren hießen »Goya«. Der Antiquitätenhändler sagte, sie würden immer noch auf den Kanarischen Inseln hergestellt.
    Auf der Straße hängte Sofia sich bei ihm ein.
    »Möchtest du Kinder?«, fragte sie plötzlich. Sie stellte die Frage, als ob es nur eine Frage wäre.
    Eschburg sah sie nicht an.
    Eine alte Frau schob einen Einkaufswagen über den Bürgersteig, er war verrostet, ein Rad blockierte und sie konnte ihn nicht gerade halten. Der Wagen war voller Plastiktüten und Stofftaschen. Es ist alles, was die alte Frau besitzt, dachte Eschburg.
    Er legte seinen Arm um Sofia und zog sie zu sich. Er wollte ihr antworten, aber sie drehte sich zu ihm um und schüttelte den Kopf.
    »Es war zu früh«, sagte sie und küsste ihn.
    Er kam sich schief vor und dumm.
    Die Frau mit dem Einkaufswagen blieb stehen. Sie spuckte auf den Boden.
    Eschburg suchte in seinen Taschen nach Zigaretten. Sofia sagte, sie habe Hunger. Sie gingen zu einem Restaurant in der Calle Toledo, das sie kannte. An den Wänden im ersten Stock hingen Bilder von spanischen Filmstars. Sie aßen eine Portion Pimientos de Padrón, grüne Paprikaschoten in heißem Olivenöl mit grobem Meersalz.
    Im Hotel kam die trockene Hitze der Stadt durch die offenen Fenster.
    »Du bist nie ganz da«, sagte sie. »Es ist immer nur ein Teil von dir da, aber ein anderer Teil ist nicht da.«
    Sie hatten sich ausgezogen und lagen auf dem Bett.
    »Ich liebe es, dass du anders bist, aber ich denke oft, dass dir etwas fehlt. Es geht dir nicht gut«, sagte sie.
    »Du musst mir helfen«, sagte er.
    »Wobei?«, fragte sie.
    »Bei allem«, sagte er, weil er nicht wusste, was er sagen sollte.
    Er konnte es ihr nicht erklären, er dachte in Bildern und Farben, nicht in Worten. Er konnte ihr nichts über den Schuss im Haus am See sagen, nichts über den Schnitt durch den Bauch des Rehs. Noch nicht.
    »Was suchst du, Sebastian? Kannst du das sagen?«, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf. Niemand kann den anderen verstehen, dachte er.
    »Es ist schwierig, mit dir zu leben«, sagte sie müde.
    Plötzlich war er sicher, dass es mit ihr gut gehen würde. Irgendwann würde sie es verstehen, den Nebel, die Leere und die Taubheit. Im nächsten Moment wollte er wieder alleine sein, warten, bis die Dinge sich ordneten und es ruhig wurde.
    Sie hörten die Touristen auf dem Platz vor dem Hotel. Sie lag auf seinem Arm, der eingeschlafen war, aber Eschburg traute sich nicht, sich zu bewegen. Er fühlte ihre Haut auf seiner Haut und dachte an die Farben der Malven. Sie war voller Leben und er war sich fremd. Er wusste nicht mehr, ob das, was er sah, wirklich war.
    Er wusste nur, dass er sie verletzen würde.

17
    Sofia und Eschburg hatten sich verfahren, sie kamen eine

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