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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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Eschburg, wie er die Männer bezahlen solle.
    »Ich bezahle die Männer überhaupt nicht«, sagte der Pornoproduzent. »Das sind Amateure. Sie müssen nur einen neuen Aidstest vorlegen, darauf bestehe ich zum Schutz der Frauen. Und sie müssen sich die Genitalien rasieren. Aber das sind die einzigen Voraussetzungen. Es kommen immer mehr Bewerber, als ich brauche. Wenn Sie ihnen Geld geben wollen, ist das Ihre Sache, aber es wird nicht viel kosten.«
    Der erfolgreichste Film des Pornoproduzenten war »Venus im Spermabad«. Er hatte dafür den Preis der Erotikfilmindustrie bekommen, so etwas wie eine Platinschallplatte für Musikproduzenten.
    Der Pornoproduzent trank seinen Kaffee, er hatte viel geredet und sah jetzt noch müder aus. Es war plötzlich sehr still. Eschburg sah aus dem Fenster. Vor dem Haus lagerte ein Stapel frisches Brennholz, die Scheite waren ordentlich übereinandergeschichtet, sie würden bis zum nächsten Winter trocken sein. Dahinter war die Wiese und dahinter begann der Wald.
    Eschburg dachte an Botticellis Gemälde »Die Geburt der Venus«. Kronos schneidet seinem Vater Uranos die Genitalien ab und wirft sie hinter sich ins Meer. Durch das Blut und den Samen schäumt das Meer und gebiert die Venus. Botticelli malte ihr schönes Gesicht ernst, bei ihm bleibt sie den Dingen fern: Sie versteht, sie bedauert, aber sie wird nie Teil dieser Welt.
    »Ich würde lieber andere Filme machen«, sagte der Pornoproduzent in das Schweigen. »Ich habe schon daran gedacht, einen Dokumentarfilm über den Zug der Vögel nach Afrika zu machen. Wussten Sie, dass manche Vögel fünftausend Kilometer weit in die Wärme fliegen? Nein, wirklich, sie tun das. Sie spüren den Neigungswinkel des Erdmagneten. Aber seit einigen Jahren fliegen immer weniger Vögel in den Süden. Es liegt an der Klimaveränderung, der warme Golfstrom und der kalte Humboldtstrom werden umgelenkt.«
    Der Pornoproduzent hatte jetzt eine weiche Stimme.
    »Ich glaube sogar«, sagte er, »das Zugsystem wird bald ganz verschwinden. Schon heute bleiben die Stare im Winter in den Städten. Vielleicht werde ich diesen Film eines Tages machen.«
    Sie saßen noch eine Weile im Wohnzimmer. Der Pornoproduzent erzählte von seiner Tochter, die Archäologie studieren wolle. Dann stand er plötzlich auf, ging wortlos zur Tür und zog seine Lederjacke wieder an. Auf dem Wollkragen lag ein Span vom Holzhacken. Er brachte Sofia und Eschburg zum Wagen. Er sagte, sie könnten kommen, wann sie wollten, er drehe jede Woche einen Film.
    Sie fuhren zurück durch den Wald, es war kühler geworden, die Bäume spiegelten sich im Lack auf der Motorhaube. Eschburg sagte, die Vögel an den Wänden seien nach Farben sortiert, nicht nach den Nebenflüssen des Amazonas. Sofia hatte Tränen in den Augen.
    Er wollte ihr noch das alte Haus am See zeigen. Das Dorf hatte sich verändert, die Apotheke gab es nicht mehr, dafür zwei Straßencafés und einen modernen Brunnen aus Metall. Die Straße war neu asphaltiert. Die schiefe Buchsbaumhecke und die Auffahrt vor dem Haus waren verschwunden. Dort war jetzt ein Parkplatz, die Autos sahen teuer aus, sie hatten Nummernschilder aus München und Starnberg. In dem Park standen Ferienhäuser aus Holz, sie waren weiß gestrichen, hatten eine Veranda zum See und waren alle gleich groß.
    Das alte Haus war renoviert worden, die Dächer neu gedeckt und die Fenster im ersten Stock bis zum Boden vergrößert. Neben der Treppe stand ein Schild: »Zutritt nur für Mitglieder des Golfresorts«.
    Sie gingen zum See. Steg, Bootshaus und Stall waren abgerissen, die Kapelle war ein Abstellraum für Golfwagen. Es gab neue Wege aus weißem Kies zwischen den Ferienhäusern und neue Blumenrabatten und es standen wetterfeste Plastikbänke auf dem Rasen. Hinter dem Haus war eine große Terrasse aus Teakholz, Menschen saßen dort unter Sonnenschirmen, sie hatten gelbe und rote Pullunder an und trugen karierte Hosen und Röcke.
    »Es tut mir so leid«, sagte Sofia.
    Eschburg wollte ihr von dem verrosteten Wetterhahn auf dem Dach erzählen. Er wollte ihr sagen, dass hier die Farben aus Bronze gewesen waren, aus Zitronen- und Kadmiumgelb, aus Cyan, Olive und Chromoxidgrün, aus gebranntem Siena und Sand. Er wollte ihr sagen, dass die Wirklichkeit schneller sei als er, dass er einfach nicht mitkomme. Die Dinge passierten und er sehe nur zu.
    »Dort stand das Bootshaus«, sagte er nur.
    Ein Mann mit blauem Jackett kam über den Rasen. »Entschuldigen Sie bitte,

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