Tabu: Roman (German Edition)
Viertelstunde zu spät. Die Wegbeschreibung war nicht besonders kompliziert gewesen, aber es gab dort keine Straßen mehr und keine Schilder, es gab nur Feld- und Waldwege. Sie waren in der Nähe des alten Hauses am See.
Das Haus, zu dem sie wollten, war klein und viereckig. Es lag ganz oben auf einem Hügel, umgeben von Wald, die Bäume waren höher als das Haus.
Der Mann hatte sie erwartet. Er kam die Stufen zwischen den Stauden herunter. Er trug eine schwarze Lederjacke und eine schwarze Sonnenbrille und nichts davon passte zu dem Haus. Er war Pornoproduzent, und er sah aus wie ein Pornoproduzent. Aber als er die Brille abnahm, sah er nur noch aus wie ein alter Mann mit grauen Augen.
Während sie die Stufen zum Haus hochstiegen, sagte der Pornoproduzent, im Winter könne man das Haus nur mit Schneeketten oder einem Unimog erreichen, der nächste Nachbar sei 15 Kilometer entfernt. Das Haus habe früher einem Vogelfänger gehört. Es habe diesen Beruf wirklich gegeben, sie hätten Singvögel in den Wäldern gefangen und dann auf den Märkten in der Stadt verkauft. Er habe das recherchiert, sagte er.
Drinnen zog der Pornoproduzent die Lederjacke aus und hängte sie neben die Tür. Er zeigte Sofia und Eschburg das Wohnzimmer, sie setzten sich auf das Sofa. Der Pornoproduzent ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Das Haus hatte niedrige Decken und roch nach feuchter Erde. An den Wänden in seinem Wohnzimmer hingen Fotos von exotischen Vögeln in rahmenlosen Glashaltern. Unter den Fotos stand: »Japurá, 6 : 35 Uhr« oder »Mantaro, 20 : 49 Uhr« oder »Juruá, 14 : 17«. Nach einiger Zeit kam der Pornoproduzent mit einem Tablett zurück, die Tassen waren dünn, sie stießen gegeneinander. Eschburg überlegte, wonach die Fotos geordnet waren.
»Ich verstehe nicht«, sagte der Pornoproduzent, nachdem er sich auf den einzigen Sessel gesetzt hatte, »warum Sie dieses Foto machen wollen. Es wird Ihnen in meinem Studio nicht gefallen, glaube ich. Vor zwanzig Jahren ist es noch anders gewesen, aber heute gibt es keine Drehbücher mehr für diese Filme. Einer meiner Drehbuchautoren ist zum Fernsehen gegangen, er schreibt jetzt Krankenhausserien. Heute kann jeder filmen. Jede Hausfrau, die Geld für die Miete braucht, hat ihre eigene Webseite mit Kamera. Wer als Produzent überleben will, muss sich spezialisieren.«
Der Pornoproduzent hatte große Hände. Er legte sie nie auf den Tisch, so, als würde er sich dafür schämen. Er führte bei allen Filmen, die er produzierte, auch selbst die Regie.
Der Pornoproduzent hatte Bienenstich und Himbeerkuchen im Dorf gekauft. Der Himbeerkuchen sei sehr gut, sagte er zu Sofia und lächelte, sie müsse ihn unbedingt probieren.
»Ich musste mich spezialisieren, es ging nicht anders. Ich mache jetzt Filme mit vielen Leuten, Massenszenen, das ist für Amateure nicht so leicht nachzumachen.«
Eschburg und Sofia hatten sich zwei seiner Filme angesehen. In jedem spielte nur eine Frau mit, eine junge Frau. Die Frauen wirkten nicht wie professionelle Darstellerinnen, eher wie Studentinnen oder Auszubildende. Zuerst interviewte der Pornoproduzent die junge Frau vor der Kamera. Er sprach ganz normal mit ihr, so, wie man redet, wenn man jemanden kennenlernt. Er fragte, wie alt sie sei, woher sie komme, was sie interessiere. Während er mit ihr sprach, kamen Männer dazu. Die Kamera sah nur ihre Schwänze. Die Männer spritzten der Frau ihr Sperma ins Gesicht. Die Frau redete dabei weiter über alltägliche Dinge. Sie durfte das Sperma nicht abwischen. Nach dem Interview mit dem Pornoproduzenten ging die Kamera zurück. Die Frau musste dann weitere Männer oral befriedigen, 25 oder 30 Männer. Für jeden Mann hatte sie höchstens eine Minute. Nachdem alle Männer auf das Gesicht der Frau gespritzt hatten, begleitete die Kamera die Frau ins Bad. Während sie sich wusch, interviewte der Pornoproduzent sie noch einmal. Er fragte sie dann, wie sie es gefunden habe.
Der Pornoproduzent aß ein Stück von dem Himbeerkuchen. »So ein Film besteht aus vielen Kleinigkeiten«, sagte er. »Ich habe auch mit den Kulissen experimentiert, jetzt verwende ich nur noch schwarze Wände und Böden.«
Sofia erklärte dem Pornoproduzenten, wie das Bild Eschburgs aussehen würde und was sie im Studio umbauen müssten. Sie legte Zeichnungen auf den Tisch. Der Pornoproduzent sah sich alles genau an, er stellte Fragen zu den Einzelheiten. Als sie über das Geld sprachen, fragte
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