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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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sind Sie Mitglieder?«, fragte der Mann. Er war jung und höflich und er hatte sehr weiße Zähne.
    »Nein«, sagte Eschburg.
    »Dann muss ich Sie leider bitten, das Resort zu verlassen.«
    Nur der See hatte sich nicht verändert, das Schilf war noch da und die dunkelgrünen Bäume und der Blütenstaub, der auf dem Wasser trieb.
    »Das verstehe ich«, sagte Eschburg.
    Auf der Fahrt zum Flughafen hielten sie an einer Tankstelle. Während Eschburg im Verkaufsraum auf Sofia wartete, blätterte er in den Zeitschriften, die im Regal über den Süßigkeiten und Chips lagen. Die Schlagzeile einer Boulevardzeitung hieß, die Menschheit sei längst pleite, sie habe 50   000   Milliarden Euro Schulden. Eschburg verstand nicht, wem die Menschheit das Geld schuldete. Er kaufte sich Zigaretten und ein neues Feuerzeug aus Plastik. Auf dem Weg zum Wagen wurde ihm schlecht. Er übergab sich zwischen den Zapfsäulen.
    Ein paar Stunden später saßen sie wieder im Flugzeug nach Berlin. Sie ist die erste Frau, mit der ich es mir vorstellen kann, dachte er. Mit ihr ist es möglich, das Alleinsein und die Stille. Er legte seine Hand auf ihre Hand und hielt sie fest.
    Sofia sah ihn an wie einen Fremden.
    Sie konnten von oben die ordentlichen Felder erkennen, abgezirkelte Streifen, Vierecke aus Mais und aus Klee. Die Ordnung beruhigte Eschburg.

18
    Eschburg arbeitete zwei Monate lang an den Bildern. Er gab ihnen den Titel »Majas Männer«. Sofia lag dort auf einem Sofa. Ein Bühnenbildner hatte das Sofa von Goyas Gemälde nachgebaut. Auf dem ersten Bild war Sofia nackt. Um sie standen 16   Männer in Anzügen und starrten sie an. Sofia lag in der gleichen Haltung und war so geschminkt wie Goyas Maja. Die Perspektive der Kamera war die Perspektive Goyas.
    Auf dem zweiten Bild trug Sofia die Kleider der Maja. Die Männer standen so wie auf dem ersten Bild, aber jetzt waren sie nackt. Mit der gleichen Kopfhaltung starrten sie Sofia an, ihre Schwänze waren steif, sie zeigten auf das Gesicht und auf den Körper Sofias. Zwei der Männer hatten ihr Sperma auf Sofias Bluse gespritzt.
    Es waren die Amateurdarsteller des Pornoproduzenten. Sie waren unterschiedlich groß, einige hatten einen Bauch, einer hatte ein Pflaster auf seinem Unterarm, fünf trugen einen Bart, vier eine Brille. Die Kamera hatte überscharf jede Hautrötung, jedes Haar erfasst.
    Eschburg hatte die Fotos im Studio des Pornoproduzenten gemacht. Er hatte eine Hasselblad 503 CW und ein digitales Rückteil mit 39   Megapixeln verwendet. Die Fotos waren bei Grieger in Düsseldorf auf einem LightJet 500 XL im Format 1,80   ×   3,00   Meter belichtet und auf Acrylplatten gezogen worden.
    Die beiden Platten hingen hintereinander. Es war nur das Bild der nackten Sofia und der angezogenen Männer zu sehen. In einem Zwei-Minuten-Rhythmus schob ein Elektromotor über Scharniere die vordere Platte nach oben und gab das darunterliegende Bild mit den nackten Männern frei. Danach glitt das Foto wieder zurück.
    Nachdem die Handwerker den Elektromotor installiert hatten, stieg Eschburg über die eiserne Außentreppe auf das Dach des Fabrikgebäudes. Als er vor vier Jahren in die Linienstraße gezogen war, hatte er im ersten Sommer manchmal dort oben übernachtet, die beiden Kastanien im Hof erinnerten ihn an zu Hause. Später dachte er oft darüber nach, warum er an diesem Tag auf das Dach gestiegen war, vielleicht war es die Hitze gewesen oder die Müdigkeit oder etwas anderes, wofür es keine Erklärung gab.
    Auf der Hollywoodschaukel, die immer schon auf dem Dach gestanden hatte, lag eine Frau. Sie trug Espadrilles und einen Kimono aus Seide, der alt und schmutzig aussah. Eschburg wollte wieder gehen.
    »Bleiben Sie ruhig«, sagte die Frau.
    Der Teer war von der Hitze weich. Die Frau hatte eine helle Narbe auf ihrer Stirn.
    »Wir haben uns einmal getroffen, vor Jahren, als ich eingezogen bin«, sagte Eschburg.
    »Senja Finks«, sagte die Frau. »Ich gebe Ihnen nicht die Hand, es ist zu heiß.«
    Sie war Mitte dreißig. Ihre Haare waren unter einem Tuch, sie trug eine große Sonnenbrille. Sie wirkte etwas verwahrlost.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie.
    Das Polster war fleckig und eingerissen, der gelbe Schaumstoff quoll hervor.
    »Wollen Sie ein Bier?«, fragte Senja Finks. »Es ist kalt.«
    »Haben Sie noch was anderes?«
    »Nur Bier.«
    »Dann nehme ich eines«, sagte Eschburg.
    Senja Finks schob den Deckel einer Kühlbox auf, entnahm eine Flasche und öffnete sie mit einem

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