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Tabu: Roman (German Edition)

Tabu: Roman (German Edition)

Titel: Tabu: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferdinand von Schirach
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Plastikfeuerzeug. Die Schaukel bewegte sich langsam vor und zurück. Ihr Parfum roch nach Zedern und Erde.
    »Sie machen Fotos?«, fragte Senja Finks.
    »Ja«, sagte Eschburg.
    Sie nahm sich selbst noch ein Bier aus der Kühltruhe. Als sie es öffnete, spritzte Schaum auf ihren Kimono, auf ihr nacktes Knie und auf den Boden. Der Schaum trocknete schnell auf dem warmen Dach, es blieb ein weißer Umriss zurück.
    »Woher kommen Sie?«, fragte Eschburg, weil er glaubte, etwas fragen zu müssen. »Ich meine, wegen Ihres Akzents.«
    »Odessa, Schwarzes Meer. Ich bin seit mehr als zehn Jahren hier.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    »Und was machen Sie?«, fragte Eschburg.
    »Nichts«, sagte sie. Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Ich habe schon alles gemacht.«
    Eschburg dachte über ihren letzten Satz nach und jetzt störte es ihn nicht mehr zu schweigen. Sie tranken das Bier, Senja Finks drehte sich Zigaretten aus dunklem Tabak und rauchte. Irgendwann nickte Eschburg ein.
    Als er wieder wach wurde, wusste er nicht, wie viel Zeit vergangen war. Er sagte, er müsse jetzt gehen. Er stieß mit dem Knie gegen den Eisentisch, eine halb volle Flasche kippte um. Senja Finks war so schnell, dass Eschburg ihre Bewegung nicht sah. Es war eine mechanische Reaktion, unbewusst, präzise, sicher. Sie fing die Flasche mit der linken Hand, bevor sie auf dem Boden zerplatzen konnte. Ihr Atem beschleunigte sich nicht.
    Ihr Kimono hatte sich geöffnet. Ihr Bauch war flach und hart. Eschburg sah die Narben, sie zogen sich über den ganzen Oberkörper, lange Striemen wie von einer Peitsche. Unter ihrer linken Brust war eine Eule. Zuerst dachte er, es sei ein Tattoo, aber dann begriff er es: Jemand hatte mit einem Eisen das Bild auf ihre Haut gebrannt.

19
    Die Ausstellung von »Majas Männer« war ein Erfolg. Ein Kulturmagazin im Fernsehen hatte einen Vorbericht gezeigt. Am Nachmittag der Eröffnung war vor der Galerie eine Menschenschlange.
    Sofia trug ein schwarzes Kleid, ihre Haare hatte sie zurückgebunden, sie war schmal und elegant und sie bewegte sich sicher zwischen den Gästen. Sie sprach mit jedem, verteilte Visitenkarten, sie lachte und war im nächsten Moment wieder ernst.
    Er dachte an die Laufmasche in ihrer Strumpfhose, über die sie sich vor der Ausstellung geärgert hatte, und daran, wie sie morgens in der Küche aus dem Fenster gesehen hatte, ohne zu sprechen. Sie hatte einen kleinen Jungen beobachtet, der auf dem Hof spielte. Dann hatte sie sich zu ihm umgedreht und er hatte die Frage gesehen, die sie nicht mehr stellte und die er nicht beantworten konnte.
    Eschburg sah zu Sofia. Das alles ist nur mit ihr möglich, dachte er, das Fotografieren und das Weitermachen und das Ertragen.
    Eschburg verließ die Vernissage, ging zurück in die Linienstraße, packte ein paar Sachen ein und fuhr in das Stadtbad Charlottenburg. Es war 1898 gebaut worden, drei Stockwerke hoch, eine Jugendstilfassade aus roten Ziegelsteinen, das Dach eine Stahlkonstruktion wie bei einer Markthalle.
    Er ging durch das grüne Eisentor. Um diese Zeit war er fast immer alleine hier. Er zog sich um, duschte und ließ sich an der Treppe in das Schwimmbecken gleiten. Er schwamm ein paar Runden, schnell und gleichmäßig. Dann drehte er sich auf den Rücken und sah durch das hohe Glasdach in den Himmel. Er atmete aus und sank auf den Boden des Beckens. Er blieb unter Wasser, bis es schmerzte. Die Samurai des alten Japan waren jeden Morgen mit dem Satz aufgestanden: »Du bist tot.« Das Sterben wurde so leichter. Daran dachte er jetzt und nichts fehlte ihm.
    Eschburg fuhr zurück in das Atelier. Auf der Oranienburger Straße standen Prostituierte in hochhackigen Schuhen, ihre Perücken waren sehr blond oder sehr schwarz und der Schweiß hinterließ in ihrer Schminke dünne Furchen.
    Vor der Galerie war noch immer eine Schlange. Eschburg ging weiter bis zu einem Programmkino. Er kaufte eine Karte für den Film, der gerade angefangen hatte. Er setzte sich in die letzte Reihe an den Rand. Der Ton im Kino war zu laut und die Schnitte im Film waren zu schnell, er konnte der Handlung nicht folgen.
    Nach einer halben Stunde verließ er den Kinosaal wieder. Es war kaum kühler geworden. Die Bürgersteige waren voller Menschen, vor einem Straßenrestaurant spielten Musiker, ein paar betrunkene Touristen tanzten.
    Er ging durch die Straßen, bis er müde wurde. An einer Baustelle blieb er stehen. Es roch nach Abwasser und Kot. Eschburg sah

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