Tabu: Thriller
Moi? «, sagte sie affektiert.
»Wir haben eine ganze Reihe von Hinweisen erhalten, wer die Frau sein könnte.«
»Seriöse?«
»Sagen wir es mal so: Einige Tipps sind besser als andere. Wir haben einen, der davon überzeugt ist, dass es sich um seine Frau handelt, die im letzten Jahr gestorben ist. Und ein anderer behauptet, sie sei Marie Antoinette. Zwei sind der Meinung, man habe uns einen Ausschnitt aus einem Sadomaso-Pornofilm mit Namen The Basement geschickt.«
»Erspar mir das!«
»Aber die interessanteren Hinweise sind de facto häufiger, danach heißt die Frau…« Skaug blätterte fieberhaft durch einen Stapel Zettel.
»Una und irgendwie weiter?«, schlug Kristin vor.
»Genau! Una Mørch. Woher weißt du das?«
»Ihr Name kam hier gestern Abend schon rein.«
»Organistin. Kommt aus Dänemark. Der glaubwürdigste Hinweis kommt vom Glöckner…«
»Glöckner?«
»Genau, Glöckner von…«, er blätterte weiter, »Glöckner von… verdammt… von Notre Dame?… Mist, wo ist jetzt wieder dieser Zettel… Hier, von der Gemeinde Grorud. Hier hast du seine Nummer. Vielleicht nimmst du Roffern mit und fährst mal hin.«
»Roffern? Muss der Arme heute auch arbeiten?«
»Der Arme? He? In der Brust dieses Überstunden-Junkies tickt doch kein Herz, sondern ein Taxameter. Ich sollte dir lieber leidtun.«
»Du? Als ob du mit einem Herz ausgestattet wärst!«
Der Küster war ein kleiner Mann mit schütterem Haar, einem entschuldigenden Lachen und einem hektischen Adamsapfel. Als Kristin ihn fragte, warum er glaube, die Frau sei Una Mørch, lachte er nervös und sagte: »Na, weil ich sie wiedererkannt habe.«
Er erzählte, sie sei die Vertretung des Organisten und dass er sie schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen habe. Was weiter nicht ungewöhnlich sei, da sie erst heute Nachmittag bei einer Hochzeit spielen müsse.
Nach dem Beitrag habe er im Laufe der Nacht und des Vormittags mehrmals versucht, sie anzurufen, es sei aber nie jemand ans Telefon gegangen. »Und sie ist ein anständiges Mädchen«, fügte er hinzu, wobei er das Wort »anständig« so betonte, dass Kristin keinerlei Zweifel hatte, wie er das meinte.
Er wollte gerne helfen, weigerte sich aber standhaft, mit Kamera und Mikrofon interviewt zu werden. Kristin brauchte zehn Minuten, um ihn zu überzeugen, dass es seine Pflicht als Christ und Mitmensch sei, ein paar nette Worte über Una zu sagen. Sie fühlte sich mies dabei, bekam aber, was sie wollte.
6
Das Haus lag einen Steinwurf von der Kirche entfernt.
Es versetzte Kristin einen Stich, als sie die große, weiße Villa von dem ersten Video erkannte, die hohe Hecke, das schmiedeeiserne Tor, den Garten und die Bank.
Roffern sagte kein Wort, als er die Kamera holte.
Das Tor quietschte beim Öffnen. Der Kies knirschte unter den Füßen. Die Äste der Apfelbäume bogen sich unter dem Gewicht unreifer Früchte.
Die Fenster grinsten sie wie schwarze Höhlen an. Sie stiegen die Granittreppe hoch. Kristin klingelte. Es klang hohl und fern. Sie warteten. Dann klingelte sie noch einmal.
»Keiner zu Hause«, sagte sie.
»Dann film ich eben dich, gib einen Kommentar ab«, schlug Roffern vor.
Kristin rümpfte die Nase. Sie mochte diese Stand-up-Szenen nicht. Sich selbst in Großformat in den Nachrichten, direkt vor der Kamera, das Mikrofon in der Hand und den Blick direkt in die Fernsehzimmer der Zuschauer gerichtet. Sie fühlte sich dann immer selbst wie ein Teil der Geschehnisse, über die sie berichtete. Sie zog eine gewisse Distanz zu den Zuschauern und den eigentlichen Nachrichten vor, aber manchmal war es nicht zu umgehen. Diese Aufnahmen konnten einen guten dokumentarischen und dramaturgischen Effekt in einem Nachrichtenbeitrag haben. Wie jetzt.
Sie brauchte ein paar Minuten, um die Sequenz mit Roffern zu planen. Roffern suchte eine geeignete Kameraposition unten bei den Büschen und gab Kristin ein Zeichen, als alles bereit war.
Kristin ging die Treppe hoch, klingelte und wartete einen Augenblick. Dann drehte sie sich zur Kamera um und hob das Mikrofon vor die Lippen:
»In diesem Haus hat Una Mørch eine Wohnung gemietet. Es ist niemand zu Hause, und alles deutet darauf hin, dass die junge Organistin wirklich das Opfer auf dem Videoband ist, das ›24 Stunden!‹ zugeschickt bekommen hat.«
Roffern filmte das leere Haus aus verschiedenen Blickwinkeln, während Kristin zu den Nachbarn ging und sich erkundigte, ob jemand etwas über Una Mørch wusste. Gleich mehrere
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