Tabu: Thriller
eigenen Gedanken auf und zog die Brille mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. »Ist das Meer nass? Natürlich hätte ich die Aufnahmen gezeigt! Bist du keine Journalistin, Mädchen? Kristin, du kriegst da gerade die Jahrhundert-Story auf einem silbernen Tablett serviert! Ergreif die Chance!«
»Aber ich weiß nicht, ob es richtig ist.«
»Richtig?« Er blinzelte sie an. »Okay. Du hast recht. Ich werde es für dich tun. Morgen im Dagbladet . In Ordnung?«
»Gunnar!«
»Ich will dir nur helfen!«
»Weißt du was! Gunnar, du…«
»Ja, doch, ich weiß es. Ich habe es dir versprochen.«
Er fing ihren Blick ein und sah das unsichere, junge Mädchen, das ihn vor zehn Jahren interviewt hatte.
»Ich habe Angst«, sagte sie.
Auf etwas in dieser Art hatte er gewartet. Oder gehofft. Es kam ihr nicht auf seine Einschätzung an. Es war nicht sein fachlicher Rat, den sie brauchte. Sie war von genügend Menschen umgeben, die ihr mit fachlichem Rat zur Seite stehen konnten. Sie suchte Gunnar. Gunnar, den Freund. Ihren Ersatzvater.
Er streckte den Arm über den Tisch und legte seine Hand auf ihre.
Eine gute Sache
1
» Ladys and Gentlemen «, sagte Richard Wolter mit dem Gesichtsausdruck eines Zirkusdirektors und knallte den Hörer auf die Gabel, »it’s show-time!«
Kristin umklammerte mit beiden Händen die Lehne ihres Stuhls. Es wurde immer wärmer im Büro. Die Morgensonne fiel in hellen Streifen durch die zugezogenen Gardinen. Aus der Hauptredaktion war das Klingeln von Telefonen zu hören, Diskussionen, Tastengeklapper, Gelächter.
»Und?« Kristin blickte von Skaug zu Wolter. »Was hat er gesagt?«
Wolter spreizte die Finger und kämmte sich mit beiden Händen durch die Haare. Kristin fand, dass er aussah wie ein Hippie. Er fuhr sich mit der Zunge über die Schneidezähne und grinste.
»Richard!«, sagten Kristin und Skaug im Chor.
»Okay, die Sachlage ist so: Niemand, der vermisst wird, sieht so aus wie die Frau auf dem Video. Und sie haben außer unseren keine weiteren Fingerabdrücke gefunden. Die Polizei steht vor einem großen Mysterium.« Er hielt inne. »Und… wir können Vang heute Nachmittag vor dem Präsidium interviewen. Die Polizei braucht Hinweise aus der Bevölkerung. Sie werden heute Abend eine Pressekonferenz einberufen…« Er lächelte verwegen. »Irgendwann nach unserer Achtzehn-Uhr-Sendung.«
Skaug schlug sich mit der Faust in die Handfläche und platzte heraus: » Yes! Yes! Yes! «
Kristin kniff die Augen zu.
»Stimmt was nicht?«, fragte Wolter.
Sie riss die Augen auf und lachte nervös. »Doch, doch! Ich … das Ganze… ist ziemlich überwältigend. Ich hatte gedacht, die Polizei…« Sie schüttelte den Kopf. »Ach, vergesst es! Vergesst es einfach!«
Skaug lehnte sich zu ihr hinüber und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Beruhig dich Kristin, du musst dich um gar nichts kümmern, ich bitte Caspar.«
Sie blickte zu Boden. Es war still im Raum. Dann sah sie ihn schräg von der Seite an. »Caspar? Glaubst du wirklich, ich überlasse diese Story diesem Arschkriecher?«
Skaug zog die Augenbrauen hoch und sah zu Wolter, der sich räusperte. »Versprich mir, vorsichtig zu sein, Kristin«, sagte er.
»Sicher doch!« Vorsichtig? Weswegen?
2
Um fünf vor drei stand Kristin gemeinsam mit Roffern vor dem Haupteingang des Polizeipräsidiums. Das lang gestreckte, geschwungene Gebäude erinnerte sie an ein gigantisches, versteinertes Urtier. Die Bäume warfen kalte Schatten auf die Rasenfläche vor dem Präsidium.
Roffern hatte die Kamera bereits auf dem Stativ montiert, als Polizeidirektor Vang durch die automatischen Türen nach draußen gehastet kam. Er gab Kristin kurz die Hand. Er trug das Fernsehsakko und den Fernsehschlips, und in dem scharfen Licht erkannte Kristin, dass er seine Tolle mit Haarspray bearbeitet haben musste, damit sie an ihrem Platz blieb.
»Gibt es Neuigkeiten?«, fragte sie.
»Nichts. Wird das ein längerer Beitrag?«
»Vier, fünf Minuten. Mein längster bisher.«
»Wie stellen Sie sich das Interview vor?«
»Ich werde Sie fragen, was die Polizei zu den Videoaufnahmen und den Briefen sagen kann, und Sie können dann damit schließen, dass Sie die Zuschauer um Unterstützung bitten.«
Vang räusperte sich und straffte seinen Schlipsknoten. Ein bekannter Rechtsanwalt grüßte ihn belustigt, als er vorbeiging.
»Roffern, bist du so weit?«, fragte Kristin.
»Gleich… könnt ihr mal was sagen, für den Soundcheck?« Er reichte Kristin das
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