Tabu: Thriller
beschrieben Una als eine aufgeweckte, junge Frau, zurückhaltend und still, mit der es nie irgendwelche Probleme gegeben habe. Aber nur einer war bereit, im Fernsehen aufzutreten. Sie gingen mit ihm zu dem schmiedeeisernen Tor und interviewten ihn mit dem Haus im Hintergrund.
Als sie ihr Material im Übertragungswagen verstaut hatten, näherten sich ein Polizeiwagen und ein Zivilfahrzeug. Der Volvo und der Opel hielten direkt hinter ihnen. Vang und drei Beamte in Zivil stiegen aus.
»Sie haben es also herausgefunden«, bemerkte Vang in einem Ton, der mehr als deutlich machte, dass er selbst gerne der Erste gewesen wäre.
»Ist es bestätigt, dass es sich um Una Mørch handelt?«, fragte Kristin.
»Nicht offiziell. Wir müssen noch ins Haus und alles überprüfen.«
»Können wir hier jetzt gleich ein Interview machen?«
»Lassen Sie mich erst kurz ins Haus gehen.«
»Können wir mitkommen?«
»Tut mir leid.« Er lächelte. »Der häusliche Frieden und so weiter.« Superbulle, dachte Kristin und erwiderte sein Lächeln.
Vang kam zwei Stunden später wieder aus dem Haus. Da hatten die Neuigkeiten längst auch die konkurrierenden Redaktionen erreicht, so dass Kristin inzwischen umringt von zwölf Kollegen wartete. Vang stellte sich auf die Granittreppe und räusperte sich. »Vorläufig kann ich nur bestätigen, dass Una Mørch identisch ist mit der Person auf dem Video. Mehr kann ich im Moment nicht sagen. Weitere Informationen erhalten Sie auf einer Pressekonferenz, die wir im Laufe des Tages abhalten werden.«
Während einige der Journalisten die Neuigkeiten telefonisch an ihre Redaktionen weitergaben, gingen andere gemeinsam in Richtung Kirche, um ein paar Bilder von der Hochzeit zu machen, auf der Una Mørch hätte spielen sollen.
Bald Mitternacht. Er schließt das Haus auf, stellt die Tasche an ihren festen Platz in der Ecke, zieht sich die Sandalen aus und platziert sie auf dem Schuhregal. Er hängt den Regenschirm an den Haken und die Windjacke an die Garderobe.
Der Boden knarrt, als er ins Wohnzimmer geht. Er schaltet das Licht ein. Das Zimmer ist aufgeräumt, der Boden gesaugt und gewischt. Alles ist genau so, wie er es zurückgelassen hatte.
Shere Khan kommt zögerlich zu ihm. Er hockt sich hin und streichelt den Kater hinter dem Ohr, während er sich an seine Cordhose schmiegt. Shere Khan ist nicht richtig in Form. Müde und appetitlos. Aber er ist verschmust. Bevor er aufsteht, muss er Haarbüschel von der Hose klopfen.
In der Küche stellt er eine Bratpfanne auf den Herd und schaltet die Platte ein. Er nimmt zwei Eier aus dem Kühlschrank und ein paar gekochte Kartoffeln, die er pellt. Es gibt kein besseres Nachtessen als Spiegeleier und Bratkartoffeln.
Er löffelt etwas Whiskas auf Shere Khans Teller.
Während die Pfanne heiß wird, geht er in den Keller, um nach dem Mädchen zu sehen. In der Kammer neben ihrem Zimmer hat er einen Überwachungsraum eingerichtet, damit er sie nicht ständig stören muss.
Durch den Spiegel sieht es so aus, als würde sie schlafen. Bevor er zur Arbeit gegangen war, hatte er das Nachtlicht eingeschaltet. Er will ihr nicht zumuten, im Stockfinsteren zu liegen. Er fragt sich, ob es vielleicht angenehmer für sie wäre, wenn er sie am Fuß ankettete. Es sieht nicht gut aus, wie sie mit dem verdrehten
Arm daliegt. Aber bisher hat sie nichts gesagt. Sie klagt überhaupt nie.
Das Fett brutzelt in der Pfanne, als er wieder nach oben kommt. Er brät die Eier und die Kartoffeln und liest beim Essen die Abendzeitung.
Shere Khan döst auf dem Sofa. Er rührt sein Fressen nicht an.
Als er gespült und Teller und Besteck weggeräumt hat, überlegt er einen Moment lang, wieder nach unten zu gehen und das Mädchen zu beobachten oder sich einen Videofilm anzusehen. Wie üblich entscheidet er sich für den Film.
Er hat nur wenige Bücher. Die Regale im Wohnzimmer stehen voller Videofilme. Er hat sie nie gezählt, aber es müssen Hunderte sein… vielleicht Tausende. Die Klassiker, natürlich: Vom Winde verweht, Psycho, Casablanca, 2001 – Odyssee im Weltall, Citizen Kane …
Die großen Publikumserfolge wie Star Wars, Der große Gatsby, E.T., Forrest Gump … Rosemaries Baby, Der Exorzist … Und nicht wenige obskure Filme für wirkliche speziell Interessierte: Plan 9 aus dem Weltall, Blutgericht in Texas … Er hat sie alle gesehen, die meisten vier-, ja fünfmal; manche an die hundertmal. Nach Feierabend sieht er sich gut und gerne fünf oder sechs Filme
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