Tacheles
auf Arbeiter, die ebenfalls entlassen worden, aber nicht gewillt waren, dies so auf sich beruhen zu lassen. Es konnte also nicht schaden, sich den Podlaha einmal anzusehen.
„Da ist die Kettenbrückengasse, da müssen wir raus“, hörte Bronstein Cerny sagen, und kaum hatten sie das Gefährt verlassen, deutete Cerny schon in die Richtung, die sie nun einschlagen mussten. Sie gingen die Krongasse hinauf Richtung Mittersteig und hielten vor einem kleinen zweistöckigen Haus, das aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammen durfte. Im Hausflur stank es penetrant nach Kohlgemüse, im Hof malträtierten ein paar Kleinkinder den einzigen Baum.
„He, ihr da, ja ihr, wo wohnen die Podlahas?“
„Erster Stock, Tür 5“, kam es mit hellen Kinderstimmen zurück.
„Na, jetzt wiss’ ma aa, wo’s heit die Kohlrabi gibt“, meinte Bronstein, sich des wienerischen Idioms bedienend.
„An Köch“, sagte Cerny nur. Bronstein sah ihn fragend an.
„Des is a Köch“, beharrte Cerny, „kane Kohlrabi. Kohlrabi sind Kohlrüben, hier riecht’s aber nach Kohlgemüse, und das nennt der Wiener Köch.“
„Na so was“, schmunzelte Bronstein, „an Köch woll’n ma oba ned, gell.“
Cerny wusste natürlich, worauf Bronstein nun anspielte. Ein „Köch“ war im Wiener Dialekt auch ein Streit, weshalb man gut beraten war, auf das oftmals in Vorstadtcafés unterbreitete Angebot „Willst an Köch?“ nicht einzugehen, denn das dort offerierte Gericht war fraglos ein schwer verdauliches.
Mittlerweile waren sie an der Wohnungstür angekommen. Cerny ballte seine rechte Hand zur Faust und klopfte an. Wenig später öffnete eine verlebte Frau von leidlich vierzig Jahren die Tür. Ob der Besucher legte sie die Stirn kraus: „Sie wünschen?“
„Wir wünschen den Herrn Podlaha zu sprechen. Ist er zugegen?“
„Wer fragt?“
„Oberst Bronstein und Major Cerny vom Wiener Polizeipräsidium.“
„Naa, ned scho wieder. Er ist doch am Freitag erst auslassen word’n. Sie können eam doch ned scho wieder was anhängen wollen.“
Nun legten Cerny und Bronstein die Stirn kraus.
„San Sie ned von die Politischen?“
„Nein, sind wir nicht.“
„Ach so, na, dann können S’ des vielleicht ned wissen, aber mein Mann pendelt seit März regelmäßig zwischen der Elisabethpromenade und da. Dort haben s’ nämlich an Pick auf ihn, weil er Vertrauensmann war. Aber i kann Ihnen versichern, seit dem Februar ist mein Mann nirgendwo mehr g’wesen, wo’s um Politik gangen wär. Der hat seine Lektion g’lernt, des müssen S’ ma glauben.“
„Tun wir eh“, sagte Cerny schnell, „ist er jetzt da, der Herr Gemahl, oder nicht?“
„Sicher. Sicher. Fritz, für dich. Die Polizei.“
Die Frau hatte über ihre Schulter ins Innere der Wohnung gerufen. Kurz darauf hörte man ein Stöhnen. „Ned scho wieder!“
Mühsam schleppte sich Friedrich Podlaha in die Küche, die gleichzeitig den Vorraum der Kleinstwohnung bildete. Der Mann war sichtlich vom Leben gezeichnet. Bronstein ging davon aus, dass Podlaha keine vierzig war, doch sah er sehr viel älter aus. Podlaha trat ganz knapp an die beiden Polizisten heran, seufzte resigniert und hielt ihnen dann die ausgestreckten Arme entgegen. „Was soll das?“ fragte Bronstein.
„Na, wollt ihr mir nicht die Achter anlegen?“
„Keineswegs, Herr Podlaha. Wir kommen von der Mordkommission und hätten nur ein paar Fragen an Sie“, beeilte sich Cerny, dem Mann die Angst zu nehmen. „Vielleicht wissen Sie es schon, Ihr ehemaliger Arbeitgeber wurde in der Nacht auf gestern ermordet.“
„I bin des ned g’wesen“, sagte Podlaha automatisch.
„Wie gesagt“, ging Bronstein auf diesen Einwurf nicht weiter ein, „wir haben nur ein paar Fragen an Sie.“
„Bitte sehr. Wollen Sie sich setzen?“ Podlaha wies in die Richtung, aus der er gekommen war. Wortlos folgten ihm Cerny und Bronstein in den hinteren Raum. Bronstein war einiges gewohnt, doch das Elend, das ihm aus diesem Zimmer entgegenschlug, verwunderte selbst ihn. So hatte man in Wien vor zwanzig, dreißig Jahren gehaust, kaum vorstellbar, dass es solche Elendsquartiere immer noch gab.
Podlaha schien den Gedanken des Obersts erraten zu haben: „Es tut mir leid, dass ich Sie in diesem Loch empfangen muss, aber seit meine Frau und ich arbeitslos und zudem ausgesteuert sind, können wir uns nichts anderes mehr leisten. Ich muss ja zudem meine Kinder irgendwie durchbringen.“
„Wie viele haben S’ denn?“ Die Frage war
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