Tacheles
natürlich von Cerny gekommen.
„Fünf“, sagte Podlaha nicht ohne Stolz, „der Ferdl wohnt ja zum Glück nicht mehr da, der ist ja schon fast zwanzig. Na, und die Mitzi hamma im Mai unter die Haube gebracht, die wohnt jetzt in der Luxemburggass’n in Ottakring. Damit haben wir jetzt nur die drei Nachzügler noch da, aber füttern S’ einmal fünf Mäuler mit ein paar Schilling am Tag.“
„Weil wir grad im Privaten sind“, nahm Bronstein diesen Faden auf, „vielleicht können S’ uns ganz kurz sagen, wann Sie selbst geboren sind und seit wann Sie beim Demand g’arbeitet haben.“
„Geboren bin ich passenderweise am 1. Mai, und zwar 1894 in Bernhardsthal an der Grenze zu Mähren. Meine Eltern haben dann bis 1905 in der Eisenwarenfabrik in Irdning gearbeitet, dort bin ich auch aufg’wachsen. 1906 sind wir nach Schlöglmühl übersiedelt, dort hab ich dann in der Papierfabrik ang’fangen. 1907 war des, weil mein Vater war ganz stolz, dass er wählen gehen darf. Und dann haben sie ihm g’sagt, er darfdoch ned, weil er noch kein Jahr am selben Wohnort lebt. Des hot er nie vergessen, mein Vater, und ich auch ned. Na egal. 1912 haben s’ mich dann zum Militär eingezogen, und so bin ich nach Wien kommen. Meine Dienstzeit ist ja automatisch verlängert worden wegen dem Krieg. Ich war z’erst in Serbien, dann in Rumänien und zum Schluss in Russland. Dort bin ich in G’fangenschaft kommen. Ende 1916 war des. Dort hab ich dann auch die Revolution miterlebt, aber des wird die Herren wahrscheinlich ned so interessieren. Na egal, im Mai 1918 bin i z’ruck aus Russland und da wollten s’ mi glei noch Italien schicken. Des hab i ma aber nimma antan. I bin dann Soldatenrat worden und der Partei beitreten. Im Neunzehnerjahr hab i, nachdem sie demobilisiert haben, beim Demand ang’fangen, wo i zwei Jahr später Betriebsrat worden bin. Na und des war i bis heuer im Februar. Was dann passiert is, wissen S’ eh, und glei Anfang März hat er mi außeg’haut, der Demand. Und jetzt steh i da.“
„Und wie haben die Kollegen reagiert? Immerhin waren Sie dreizehn Jahre Betriebsrat?“
„Wie soll’n die schon reagiert haben? Die sind ja selber alle total demoralisiert. Sie dürfen ned vergessen, vor zehn Jahr’ hat der Demand fast sechstausend Beschäftigte in Österreich, in Ungarn, in der Tschechei und in Polen g’habt. Dreitausend waren wir hier in Österreich, davon vierhundertfünfzig in Wien, zweitausend draußen in Wildungsmauer und noch einmal fünfhundert im Werk in Kittsee. Dann hat er von heut auf morgen Kittsee zug’sperrt. Im Herbst 1930 war das. Alle entlassen. Zwei Monat’ später hat er die Fabrik in Wildungsmauer auf neunhundert Leut runterg’fahren, und Anfang 1932 hat er sie ganz geschlossen. Er hat nur noch die Betriebe in Ungarn und in der Tschechei, die liefern jetzt in alle Welt, und bei uns gibt’s nur noch die Zentrale, und da war’n wir heuer im Frühjahr auch keine dreihundert Leut mehr. Da hat’s natürlichviele gegeben, die mich g’fragt haben, warum ich nichts dagegen tu. Was, bitte schön, hätt ich denn tun sollen? Sicher, wir hätten streiken müssen, das war mir auch klar. Aber seit der G’schicht da drüben in Amerika hat sich doch keiner mehr irgendetwas getraut. Und sicher, jeder wollte, dass man für seinen Arbeitsplatz kämpft, aber niemand hat den Kopf für die anderen riskiert. Die Moral war doch 1930 schon vollkommen am Boden, und Kittsee war noch dazu weit weg. Was schert mi des, haben s’ alle g’sagt in Wien, und in Wildungsmauer auch. Da war nichts zum Wollen. Ich hab ihnen gleich g’sagt, wenn wir uns jetzt nicht wehren, dann fallt uns das auf den Kopf. Und nachher sind’s kommen und ham g’sagt, warum hast uns nicht gewarnt. Und wie dann im Februar endgültig alles den Bach runter’gangen ist, da hab ich g’wusst, jetzt bin ich auch dran. Na, und so war’s dann ja auch.“
Bronstein wartete einen Augenblick, denn Podlaha war in brütendes Schweigen versunken. „Wenn Demand“, begann Bronstein schließlich, „so viele Leute entlassen hat, dann gibt es sicher eine Menge Personen, die nicht besonders betrübt über seine Abberufung von dieser Welt sind. Oder sehen Sie das anders, Herr Podlaha?“
„Ganz und gar nicht“, kam Podlahas Antwort ebenso schnell wie offen. „Aber den Demand haben auch in seinen goldenen Zeiten schon viele gehasst. Er war ein ziemlicher Leutschinder, hat mickrig gezahlt und nach Möglichkeit selbst seine Kunden übers
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