Tacheles
immer offen hat, kann mir helfen, Licht in diese verworrene Angelegenheit zu bringen. Sie glauben doch selbst nicht, dass irgendeiner der anderen Hausbewohner einen glaubwürdigen und hilfreichen Zeugen abgibt. Aber einer so patenten Person wie Ihnen, der entgeht wahrscheinlich gar nichts.“
„So, meinen S’?“ Der Ton war immer noch schnippisch, aber Bronstein merkte, dass seine Taktik Früchte zu tragen begann. Die Frau hatte sich unbewusst gestreckt und fuhr mit der rechten Hand an ihre Frisur, offenbar um diese ein wenig zu richten.
„Wenn ich eins g’lernt hab in meiner Zeit als Polizist, dann, dass ich unterscheiden kann zwischen Leuten, die was wissen, und solchen, die nichts wissen. Und Sie gehören ohne Frage zu den Wissenden.“
„Ja eh.“ Na bitte, das klang schon weniger schnippisch.
„Also würden Sie mir helfen? Bitte.“
„Na, wenn S’ schon bitte sagen, dann kommen S’ halt erst einmal rein. Wollen S’ was trinken?“
„Ja, was hätten S’ denn?“
„Soll ich Ihnen einen Kaffee machen?“
„Da sagert ich net nein.“
Während Bronstein darauf wartete, dass die Kaffeemaschine ihre Arbeit getan hatte, betrachtete er die Hausbesorgerin etwas eingehender. Eigentlich, so fand er, wäre sie eine gar nicht unhübsche Frau. Wenn sie mehr Zeit zur Pflege aufwenden und sich bessere Kleidung zulegen würde. Doch wozu sollte sie das tun, mit so einem Ehemann? Ihre besten Jahre waren vorbei, noch ehe sie begonnen hatten, das Butterbrot ihres Lebens war mit der Butterseite auf den Boden gefallen, und das, nachdem just dort die Essigflasche zu Bruch gegangen war.
Dennoch, etwas Interessanteres als diesen verwaschenen Hausmantel hätte sie sich dennoch anziehen können, dachte Bronstein, während die Hausbesorgerin nun endlich den Kaffee in eine Tasse goss. „Müch und Zucker?“
„Ja, bitte.“
Die Frau holte die erbetenen Zutaten und reichte dem Oberst das Gewünschte. In der Drehung flatterte der Hausmantel kurz auf, und Bronstein erhaschte einen Blick auf die darunter befindliche Kombinäsch. Anscheinend war die Dame doch noch ganz knackig, auch wenn ihr Gesicht das nicht verriet.
„Alsdern, gnä’ Frau …“
„Wissen S’ was, Kieberer, sog’n S’ afoch Eva zu mir. So haaß i nämlich.“
„… äh … gut, Eva, was machen Sie eigentlich so den lieben, langen Tag?“
„Na was wear i scho mach’n? Daham sitzen und alt werden. Schau’n S’ mi an. I bin aanavierz’g, und i schau aus wia mei eigene Großmutter. Dabei war i amoi wirklich fesch. Irgendwann vor’m Kriag. Warten S’ …“ Eva war aufgesprungen und im hinteren Zimmer verschwunden. Sie kam mit einem kleinen Album zurück, das sie vor Bronstein aufschlug. Gleich das erste Foto fesselte ihn. Es zeigte Eva, wie die Unterschrift besagte, im Jahre 1913, und in der Tat war sie zum damaligen Zeitpunkt eine berückende Schönheit. „Alle Wege wären mir offen gestanden, damals. Ich hätt a guate Partie machen können, wer weiß, vielleicht sogar an Adeligen. Aber i hob ja den Trottel da heiraten müssen. Ich sag’s Ihnen, sich zu verlieben ist ein Fluch.“
„Wem sagen Sie das, Gnädigste …“
„Eva!“
„Wem sagst des, Eva.“
„Na, gleich nach der Hochzeit ist er eing’ruckt, der Schwindliche, und i hab eam vier Joar nimmer g’sehn. Wie er dann z’ruckkommen is, da war er a anderer Mensch. Wann Sie wisserten, Herr Inspektor …“
„David.“
Bronstein war selbst erschrocken. Wie konnte er sich so weit gehen lassen, einer potenziellen Zeugin das Du-Wort anzutragen. Weit war es nicht mehr her mit ihm, so viel stand fest. Er brauchte dringend Urlaub, musste etwas Abstand gewinnen, sonst war es bald vollkommen um ihn geschehen.
„Wann du wissertst, David“, das Wort sprach Eva beinahe zärtlich aus, „wie des is, wenn man mit so an verheirat’ is, du machst da ja überhaupt ka Vorstellung.“ Eva richtete sich demonstrativ erneut die Haare und sah Bronstein direkt in die Augen. Dieser meinte, eine gewisse Koketterie in ihrem Blickzu erkennen, und instinktiv fuhr seine Rechte an den Hemdkragen, um diesen zu lockern.
„Da ist man sicher sehr einsam“, sagte er leicht krächzend.
„Ja, die ganze Zeit sitz i da allein herum. Ich hab net amal an Kanari, auf den i aufpassen könnt, oder a Hunderl. Ich sag dir, das ist wirklich a Elend.“
„Und was machst da so, wennst immer nur allein herumsitzt?“
„Na nix, des is ja die Tragik von mein’ Leben.“
„Da kriegst aber dann sicher viel
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