Tacheles
versichert und ihn eingeladen hatte, wann immer es ihn gelüstete, am Zauberberg sein Gast zu sein. Kvitek wiederum war ein enger Freund des Hoteleigners, sodass die Nennung des Namens Kvitek beim Portier sofortigen und allumfassenden Eifer auslöste. Einige Augenblicke später bestätigte er Bronstein die Reservierung eines Zimmers mit Talblick und erkundigte sich beinahe ehrfurchtsvoll, wann mit dem Eintreffen des hohen Gastes gerechnet werden dürfe.
Bronstein warf einen schnellen Blick auf den Fahrplan der Bahn und gab sodann seine ungefähre Ankunftszeit an. DerPortier verblieb mit allerwärmsten Empfehlungen und besten Wünschen für eine angenehme Reise und verabschiedete sich mit einem untertänigsten Diener.
Bronstein war zufrieden. Er griff nach seinem kleinen Koffer, stopfte ein paar Kleidungsstücke hinein, kontrollierte, ob in seiner Wohnung alles wohl geordnet war, und begab sich dann wieder auf die Straße, um diese zu überqueren und den Taxistandplatz anzusteuern. Er ließ sich in den ersten Wagen fallen und raunte dem Chauffeur nur ein „Zum Südbahnhof“ zu, ehe er es sich im Fond des Wagens bequem machte.
Leidlich 20 Minuten später stand Bronstein in der Kassenhalle des Bahnhofsgebäudes. Am Schalter für die erste Klasse herrschte keinerlei Gedränge, und erstaunlich rasch erhielt Bronstein die gewünschte Fahrkarte. Da er nun bis zur Abfahrt des Zuges noch reichlich Zeit hatte, begab er sich zunächst in den Buchladen, wo er sich darum bemühte, ansprechenden Lesestoff für die Reise zu erstehen. Nach langem Suchen schwankte er zwischen einer Volksausgabe von Schillers „Maria Stuart“ – eines dieser preiswerten braunen Reclam-Bändchen – und einer Erzählung von Stefan Zweig, die, wie er dem Buchdeckel entnahm, just am Semmering spielte. Offenbar handelte es sich dabei aber um eine Liebesgeschichte, noch dazu um eine unglückliche, und Bronstein war sich schnell sicher, derartige Lektüre würde ihn gegenwärtig keinesfalls erbauen. Er verdrängte den neuerlichen Gedanken an Eva und, ja, wohl auch an Alwine, und stellte Zweigs Buch zurück, zumal er nicht darauf brannte, dessen Geheimnis zu lüften. Er legte die „Maria Stuart“ auf den Ladentisch, bezahlte die zwei Schilling und suchte dann die Bahnhofsrestauration auf, wo er noch einen Kaffee zu sich nahm, ehe er endlich in Richtung Perron schlenderte.
Zu seiner Freude war sein Abteil leer. Er öffnete das Fenster einen Spalt, hängte sein Jackett an den Nagel oberhalb seinesSitzes und ließ sich dann gemütlich auf der Sitzfläche nieder. Er steckte sich eine „Donau“ an und blätterte ziel- und wohl auch ein wenig lustlos in der „Maria Stuart“. Fast zwanghaft kehrten seine Gedanken zum Fall Demand zurück. Er wehrte sich dagegen, denn es war unmöglich, Abstand zu gewinnen, wenn er sich nicht einmal jetzt ablenken konnte. Er musste an etwas anderes denken! Eva fiel ihm ein. Auch alles andere als ein brauchbarer Gedanke. Es musste doch etwas geben, das ihn entspannen konnte. Wenigstens setzte sich endlich der Zug in Bewegung. Er legte das Buch weg und blickte unverwandt aus dem Fenster.
Zunächst zogen noch die monotonen Häuserschluchten der Vorstadtbezirke an ihm vorbei, das graue und trostlose Meidling, dann, ab Hetzendorf, wurde es etwas freundlicher, noch einmal Tristesse im Angesicht von Atzgersdorf und Liesing, um schließlich in die sanfte Hügellandschaft von Mödling, Guntramsdorf und Gumpoldskirchen überzugehen. Und endlich fand Bronstein etwas, woran er mit Freude im Herzen denken konnte. Er erinnerte sich an die Ausflüge, die er als Kind nach Baden unternommen hatte, an die lauen Abende im Kurpark, an die Himbeerkracherln im Café Central, an die Wanderungen ins Helenental, und er gestand sich ein, er war auf angenehme Weise sentimental geworden. Er sah auf die Weinberge hin, in denen er die einzelnen Rebstöcke auszumachen versuchte. Bis die Trauben endgültig reif waren, würde wohl noch einige Zeit ins Land ziehen, doch er merkte, wie sehr es ihn danach gelüstete, einige davon zu naschen.
Fauchend und zischend kam der Zug im Badener Bahnhof zum Stehen, und Bronstein überlegte, ob er in den Speisewagen gehen sollte. Auf dem Perron boten Händler Erfrischungen an, und die Zeitungsjungen verkündeten lauthals die Schlagzeilen der Mittagsblätter. Bronstein erkannte, wie entschlusslos er war, und so steckte er sich einfach eine weitere „Donau“ an, währendder Zug langsam wieder anfuhr. Nachdem er
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