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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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in der Lage gewesen, sie selbst auszuführen. Unwillkürlich begann Bronstein bei dem Gedanken zu lächeln, die zierlichen Schuhe der jungen Demand könnten sich als das Tatwerkzeug herausstellen. Die Dame hatte höchstens fünfzig Kilo, die konnte einen Schädel nur dann zerschmettern, wenn sie sich einen Mühlstein unter die Füße band. Und einen direkten Parricid traute Bronstein auch dem Junior nicht zu. Nein, wie er es auch drehte und wendete, sobald er wieder in Wien sein würde, galt es, sich die beiden braunen Gestalten vorzuknöpfen.
    Na bitte, der Ausflug hatte sich schon gelohnt. Eine ganze Woche lang war er im Kreis gelaufen, ohne wirklich den Durchblick durch die ganze Angelegenheit zu gewinnen. Jetzt, hier am Semmering, wusste er mit einem Mal, was er zu tun hatte. Jetzt konnte er wirklich das Wochenende genießen, um dann am Montag einmal mehr unter Beweis zu stellen, dass er zu den besten Beamten der Wiener Polizei gehörte.
    Zuerst musste er freilich noch eine andere Hürde nehmen. Er musste wieder von diesem Berg runter. Das würde alles andere als einfach, dazu brauchte es all seine Kraft. Bronstein zahlte sein Bier und ging unsicheren Schrittes nach draußen.Je näher er dem Wald kam, umso vorsichtiger setzte er Schritt vor Schritt. Gott, mit diesem Tempo würde er im Morgengrauen im „Panhans“ ankommen. Was hatte er sich auch auf diese dumme Bergtour eingelassen! Und immer brav Schritt um Schritt.
    Wenigstens hatte er den Samstag dazu genützt, sich gehörig von den Strapazen des Vortages zu erholen. Er war nach dem Frühstück auf die Terrasse geschlendert, hatte sich dort einen Liegestuhl gemietet und sich den gesamten Tag von der Bergsonne wärmen lassen. Nur zur Mittagszeit war es ihm gelungen, sich kurz zu erheben, und selbst da war er nach dem Essen auf sein Zimmer gegangen, um ein wenig auszuruhen, sich gleichsam vom Erholen zu erholen.
    Am Nachmittag dann, als die Sonne allmählich hinter dem Hotel zu verschwinden begann, griff er erstmals wieder zu seinem Buch, doch er kam nicht recht voran und studierte stattdessen die anderen Gäste. Doch auch das wurde ihm bald langweilig, und so ging er vor dem Abendessen noch ein wenig spazieren, nahm dann sein Diner ein und zog sich, nachdem in der Hotelhalle neuerlich keine Person aufgetaucht war, nach deren Bekanntschaft es ihn verlangt hätte, früh auf sein Zimmer zurück.
    Am Sonntag reiste er schon nach dem Frühstück wieder nach Wien zurück, um den Nachmittag noch für sich zu haben. Er ertappte sich später dabei, wie er in der Innenstadt so vor sich hin flanierte und dabei ganz zufällig vor das Haus der Demands gelangte. Nach kurzem Zögern trat er ein und lenkte seine Schritte zur Tür der Hausmeisterei. Er wartete neuerlich eine Weile, dann nahm er all seinen Mut zusammen und klopfte an.
    Noch ehe er sich irgendeinen Satz hatte zurechtlegen können, ging die Tür auch schon auf und Eva blickte ihn mitgroßen Augen an. Er wollte sie begrüßen und ihr sagen, wie sehr er sich freue, sie endlich wiederzusehen, und wie er sich schäme, sie nicht schon früher kontaktiert zu haben, doch irgendetwas ließ ihn schweigen. War es das nervöse Zucken ihres rechten Auges? Freute sie sich denn gar nicht, ihn wieder bei sich zu haben? War er nur ein Durchlaufposten gewesen, einer von vielen? Bedeutete er ihr denn gar nichts?
    „Wer is’ denn?“
    Das war die Stimme des Hausmeisters, die sich aus dem Schlafzimmer vernehmen ließ. Stumm zuckte Bronstein mit den Schultern und deutete mit der Hand ein schüchternes Winken an, ehe er den Rückzug antrat. „Ein Hausierer war’s“, hörte er Eva noch sagen, ehe die Tür ganz geschlossen war.
    Bronstein ging in gebückter Haltung nach Hause und grub sich, obwohl es draußen noch hell war, schon in sein Bett ein. Wenigstens in seinem Fall hatte er einen wichtigen Fortschritt erzielt. Wenigstens da.

VIII.
Montag, 9. Juli 1934
    Cerny war erstaunt, Bronstein schon an seinem Schreibtisch sitzen zu sehen, als er um Punkt acht Uhr das Büro betrat. „Morgen, Oberst, wie war’s am Semmering?“
    „Hervorragend. Mir sind da einige wichtige Ideen gekommen. Hör dir das an.“ Und Bronstein informierte Cerny in allen Details von seinen Überlegungen. Als er auf die Schuhe zu sprechen kam, erbleichte Cerny. Bronstein registrierte mit einer gewissen Zufriedenheit, dass auch seinem Kollegen der Umstand, auf die Überprüfung allfälliger Tatwerkzeuge vergessen zu haben, einigermaßen peinlich war. Umso

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