Tacheles
dringender sei es jetzt, ans Werk zu gehen und Nägel mit Köpfen zu machen, meinte Bronstein, und Cerny blieb wenig mehr zu tun, als ihm zuzustimmen.
„Gut“, erklärte Bronstein, „dann gönne ich mir jetzt noch eine Tasse Kaffee mit einer Zigarette, und dann gehen wir in die Firma und fühlen den beiden Herrschaften einmal auf den Zahn. Haben wir eine Zeitung hier?“
Cerny wusste um die Vorlieben seines Vorgesetzten und brachte ihm die „Wiener Zeitung“. Bronstein schlug gleich die Sportseite auf, wollte er doch wissen, wie sich die Fußballmannschaften geschlagen hatten. Natürlich! Rapid war ausgeschieden! Das war ja zu erwarten gewesen! Immer dann, wenn es um etwas ging, dann verloren die Österreicher die Nerven. Das hatte man ja schon im Vormonat gesehen, wo die hochfavorisierte Nationalmannschaft sang- und klanglos bei der Weltmeisterschaft in Italien untergegangen war. Im Vorfeld hatte es noch geheißen, das Team um den Papierenenwürde ganz sicher Weltmeister, und dann waren die elf Österreicher durch das Turnier gestolpert, als hätten sie eben erst mit dem Fußballsport begonnen. Mit Schrecken erinnerte sich Bronstein, wie Frankreich in der ersten Runde mit Hängen und Würgen in der Verlängerung niedergerungen worden war. Im Viertelfinale waren die Österreicher nur deswegen zum Erfolg getaumelt, weil sich die Ungarn durch einen Feldverweis selbst geschwächt hatten. Na und dann war ja ohnehin Endstation gewesen. Gegen die Italiener natürlich. So wie gestern, wo drei Treffer von Bimbo Binder nicht genügt hatten, um Bologna erfolgreich die Stirn zu bieten. Aber bitte, jetzt war er wenigstens in der richtigen Stimmung, um den beiden braunen Helden gehörig den Marsch zu blasen.
Als sich Cerny und Bronstein wenig später im Demand’schen Werk nach den Mitarbeitern Kotzler und Murer erkundigten, nickte der Werkmeister nur kurz, winkte einen Lehrbuben zu sich und hieß diesen, die beiden Gesuchten herbeizuschaffen. Als diese sich den Beamten näherten, verrieten ihre Mienen ein gewisses Erstaunen, das sich allerdings rasch in offene Feindseligkeit wandelte, nachdem sie der beiden Polizeimarken ansichtig geworden waren.
„Wos woits, Kiwara?“, belferte der Ältere der beiden, dessen rechte Wange eine markante Narbe zierte.
„Sie sind die Herren Kotzler und Murer?“
„Naa, mia san Pat und Patachon“, erwiderte der Ältere, um nach einer Pause hinzuzusetzen: „Sicher samma des, oder warum glaubts es, dass ma herkumma san?“
„Gut. Wir hätten da ein paar Fragen an Sie. Fangen wir ganz einfach an. Wo waren Sie in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli?“
„In mein’ Bett.“ Das Narbengesicht grinste.
„Ah ja, und kann das wer bestätigen, Herr …“
„Murer, Josef Murer – Ja, mei Oide.“
„Und Sie, Herr Kotzler?“
„I woa aa im Bett.“
„Und das kann auch Ihre Frau bestätigen, nehme ich an“, sagte Bronstein säuerlich.
„De sogt, wos i ihr sog, dass s’ sogn soi. Oiso habts ned vü davo“, tat Kotzler großspurig.
„Irrtum, Herr Kotzler, Sie haben nicht viel davon, denn das heißt, Sie haben kein Alibi“, bemerkte Cerny lakonisch.
„Wüst mi frotzln, Kiwara?“ Kotzlers Brust hob sich merklich, als er die Schultern zurück und sich selbst in Positur warf.
„Nein, da habe ich schon Besseres zu tun“, blieb Cerny sachlich.
Kotzler wollte auf Konfrontationskurs gehen, doch Murer hielt ihn zurück. Der Ältere riss das Gespräch wieder an sich.
„Liegt jetzt was vor gegen uns oder kömma wieder an unsere Arbeit gehen?“
„Zeigen Sie uns doch einmal Ihre Schuhe.“ Bronsteins Forderung stieß auf große Verwunderung seitens der Arbeiter, trotzdem schoben sie schließlich ihre Füße nach vorn. Beide trugen Goiserer.
„Die werden Sie uns leihweise überlassen müssen“, sagte Bronstein.
„Bist deppert?“, fuhr Kotzler hoch, „des san meine anzigen Schuach.“
„Tja, dann werden Sie uns leider aufs Revier begleiten und dort warten müssen, bis die Untersuchung Ihres Schuhwerks abgeschlossen ist.“
„Jetzt san s’ echt wo ang’rennt.“ Kotzler flüsterte mehr als er redete, und in seinem Gesicht machte sich wieder Erstaunen breit.
„Ich will Ihre despektierlichen Bemerkungen einmal überhört haben. Entweder Sie händigen uns nun Ihre Schuhe aus, oder Sie folgen uns aufs Revier.“
Murer folgte zögernd der behördlichen Aufforderung und schickte sich an, seine Schuhe auszuziehen. Kotzler sah ihm verwundert zu und tat es ihm, da ihm
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