Täglich frische Leichen
Tausch schien mir nur fair —
ich muß freilich gestehen, daß die Bluse mir besser gestanden hatte als ihm —,
na ja, und mit dem roten Hemd sah ich natürlich auch viel besser aus als er.
Rafael beobachtete mich noch
immer offenen Mundes. Ich gönnte ihm nur einen herzlosen Blick und sagte: » Adios , Held.« Dann marschierte ich in die Diele hinaus und
auf die Haustür zu.
»Mavis!« rief er hinter mir
her. »So warte doch! Ich...«
Ich hörte natürlich nicht auf
ihn, riß die Tür auf, trat auf die Schwelle und — weiter kam ich nicht. Ein
mittelgroßes, blaues Meer schlug über mir zusammen und schwemmte mich in die
Diele zurück. Dort teilte sich das Blau und entpuppte sich als vier stämmige
Polizisten in Uniform, zuzüglich eines Menschen in grauem Anzug und mit einem
Gesicht, das ihm in jedem Indianer-Reservat dazu verholfen hätte, auf dem
Totempfahl zualleroberst eingeschnitzt zu werden.
»Okay«, schnauzte mich der
graugekleidete Kerl an, »wo ist der Körper?«
Ich holte tief Luft und blickte
abwärts. Das scharlachrote Hemd war rundum so gespannt, daß für kein Fältchen
Platz blieb. »Wenn Sie ihn nicht sehen«, erklärte ich kühl, »dann brauchen Sie
unbedingt eine Brille.«
»Lassen Sie die dummen Witze!
Sie wissen genau, wovon ich rede — vom Toten! Wo ist er?«
»Ein Toter?« entfuhr es mir
matt. »Haben Sie einen verloren?«
»Ah bah!« sagte er empört,
packte mich am Arm und schob mich ins Wohnzimmer. Die vier Blauen folgten uns.
Rafael guckte nur dumm, als wir
eintraten. Der Mann von ganz oben am Totempfahl starrte ihn mißtrauisch an,
dann sagte er: »Ich bin Leutnant Fry von der Mordkommission. Und wo ist die
Leiche?«
»Nix sprecken Englisch«, sagte Rafael schnell, was ihm natürlich wieder ähnlich sah. Nicht
mal etwas Originelles fiel ihm ein.
»He, Leutnant!« rief einer der
Polizisten und zeigte auf Arturo, der alle viere von sich gestreckt hatte. »Da isser ja!«
»Jawohl!« Der Leutnant war
eitel Triumph. Er blitzte mich an. »Dachten Sie, Sie könnten uns auf den Arm
nehmen, Mädchen?«
Er sah sich Arturo näher an und
blinzelte. »Du lieber Himmel«, sagte er. »Was sich die Kerle heutzutage auch
alles anziehen?«
»Er ist kein Leichnam«, sagte
ich. »Er atmet.«
Leutnant Fry bückte sich und
betrachtete Arturo ein paar Sekunden lang, dann richtete er sich wieder auf und
blickte recht enttäuscht drein.
»Der Kerl ist tatsächlich nicht
tot.« Er tat, als habe ihn einer beim Pokern betrogen. Er wandte sich an seine
vier Knechte. »Durchsucht das Haus«, befahl er. »Irgendwo muß eine Leiche
versteckt sein. Ich will sie haben!«
Die Blauen entfernten sich
eilfertig, und Fry kehrte mit finsterer Miene zu Rafael und mir zurück. »All
right«, sagte er, »was geht hier vor?« Rafael machte den Mund auf, aber der
Leutnant ließ ihn noch nicht zu Wort kommen. »Und machen Sie mir nicht weis,
Sie sprächen kein Englisch«, sagte er. »Wer so eine Zuckerpuppe wie die
aufreißt« — dabei wies er mit dem Daumen in meine Richtung —, »der muß sehr gut
Englisch können.«
Rafael erklärte eilig, kurz und
bündig, wer er und Arturo waren. Er betonte dabei, daß Arturo der Sohn des
Präsidenten und in geheimer Mission in Los Angeles sei. Und wie sehr ihm
grause, daran zu denken, was wohl das State Department zum ungebetenen Besuch
des Leutnants und seinen haltlosen Behauptungen sagen würde.
»Eine diplomatische Mission,
was?« Fry betrachtete mich stirnrunzelnd. »Ich glaube, diese Mission habe ich
gerade vor Augen. Wie heißen Sie?«
»Mavis Seidlitz«, sagte ich.
Ich sah es in seinen Augen aufblitzen und fügte schnell hinzu: »Und bitte sagen
Sie nicht, ich soll jetzt verschwinden. Das wäre gar nicht originell.«
»Was suchen Sie hier?«
»Ich besuche jemand«, erwiderte
ich. »Das heißt, ich habe einen Besuch abgestattet. Ich wollte gerade gehen,
als Sie kamen.«
»Wo ist die Leiche?« Da war er
wieder bei seinem Lieblingsthema.
»Ich weiß wirklich nicht, wovon
Sie reden«, erklärte ich.
»Leutnant«, meinte Rafael
höflich, »wie kommen Sie darauf, daß sich hier im Haus eine Leiche befindet?«
»Wir wissen es«, sagte Fry.
»Wir haben den Tip bekommen.«
»Von wem?«
»Das geht Sie nichts an«, fand
der Leutnant.
»Soll das heißen, daß es sich
um einen anonymen Anruf handelt?« Rafael grinste spöttisch. »In meiner Heimat
erhält die Polizei viele solcher Anrufe — Meldungen von Feuern, die nicht
brennen, oder von Morden, bei denen es
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