Taenzer der Nacht
wie ein Hilfe ruf, wenn man es so sehen wollte. Aber dann ist ein Lächeln oft ein Schrei: eine Seele, die um Hilfe ruft. Malone ging früh an diesem Abend, um seinen Zug aufs Land zu bekommen, – und ich sah, wie er in seiner warmen Art seinen Bekannten Gute Nacht wünschte und dann in einem Chesterfield und einem Schal von Sulka’s verschwand, um sich eine Taxe zu rufen ... ein sehr gut aussehender Mann, von dem ich annahm, daß ich ihn nie wiedersehen würde, denn diese Leute treffen sich in New York nur untereinan der; für Außenstehende leben sie völlig unsichtbar.
Er zog dann für eine Weile nach Washington, lebte eher noch klösterlicher, und fuhr abends nach einem langen Arbeitstag mit den Buchhaltern von Penn Central in das Haus der Witwe in der Vorstadt von Mary land. Die Witwe hatte um sich immer einen leich ten Duft von „Cold Cream“. Sie saß in einem Rollstuhl auf der Veranda, und wenn Malone abends nach Hau se k am, setzte er sich zu ihr und trank Tee. Sie erzählte von ihrem Mann, während Malone die untergehende Sonne beobachtete, sie erzählte von der Lieblichkeit Saigons in den zwanziger Jahren. Sie erzählte von den Stränden, die sie auf den kleinen Inseln der Seychellen entdeckt hatte, während der Garten immer dunkler wur de, und die Schatten der riesigen Eichen immer schwärzer, der Duft der Gardenien und Myrten immer intensiver. Er kam sich vor, als sei er eine Figur von Henry James: er begann zu argwöhnen, er solle der Mann sein, der nie etwas erlebt. „Wenn Sie erst das rich tige Mädchen gefunden haben“, sagte sie und legte gefühlvoll ihre Hand auf seine, „dann müssen Sie sie nach Sadrudabad im April nehmen und die farben präch tigen Bäume blühen sehen. Es gibt nichts Schöneres, als die Wunder dieser Erde mit jemandem zu besichtigen, den man liebt!“
Das war ein Satz, der auch in Reader’s Digest hätte stehen können, aber Malone glaubte ihn völlig. Er war ganz niedergeschlagen bei dem Gedanken, daß er so etwas nie erleben sollte. Aber er war ein disziplinierter Bursche und stand trotzdem am nächsten Morgen auf, eine gehorsame Seele, und ging wie gewöhnlich zur Arbeit; um eins spielte er wie immer Squash mit einem Kollegen, der kürzlich geheiratet hatte, weil er fand, wie er Malone erzählte, daß jeder mit dreißig verhei ra tet sein sollte. Selbst sein Lieblingsspiel erfüllte ihn jetzt mit Trauer, denn sein Partner, ein alter Schul freund, sagte jetzt ständig: „Anne hier“ und „Anne da“ und „Anne und ich fahren diesen Sommer nach Salz burg“, und er fühlte sich noch bedrückter, wenn er vom Platz ging. Er hörte jetzt ganz auf, verheiratete Freunde zu besuchen. Verheiratete Freunde, entschied er eines Abends, als er von einer Einladung zurück kam, deprimieren mich.
Die Düsternis, die er da fühlte, war gar nichts im Vergleich mit der schrecklichen Einsamkeit, die ihn immer Sonntag abend um acht überfiel; denn dann hatte er den ganzen Tag alleine verbracht, oder war mit einem anderen Junggesellen herumgefahren, um Anti quitäten einzukaufen; und wenn er dann in seinem Zimmer saß und in den schönen Garten hinun terblickte – die Witwe war bereits ins Bett gegangen und hatte noch einmal dick „Cold Cream“ aufgelegt, wovon das ganze Treppenhaus roch – fühlte er sich so schrecklich allein, daß er sich nicht vorstellen konnte, daß irgend jemand noch trauriger sein könne. Tränen stiegen ihm in die Augen, wenn er so dasaß. Dieser Tag, Sonntag, war eigentlich sein Lieblingstag; diesen Tag, Sonntag, verbrachte die Familie immer gemein sam, abends, wenn jeder von seiner jeweiligen Beschäf tigung nach Hause gekommen war, um ein kaltes Abend brot einzunehmen und das Sonntagsblatt zu studieren; dieser Tag, Sonntag, der lieblichste, mensch lichste, sanfteste Tag, fand ihn kerzengerade an seinem kleinen Schreibtisch am Fenster sitzend, während er in seinen Ohren das Rauschen von Flügeln hörte – das Rauschen unsichtbarer Vögel, die über ihn herfielen und die Luft schlugen mit ihrer anklagenden Gegen wart. Er war allein, wie Prometheus an seinen Felsen geschmiedet. Morgen würde ihn wieder das Gewim mel der Menschen mitreißen, die alle für ihren Lebens unterhalt schufteten; aber heute, in diesem Moment, in diesem sanftgrünen Zwielicht, an diesem sanftgrünen Sonntagabend, wenn das Herz der Welt in seiner Hand fläche zu schlagen schien, saß er in dem weitläu figen Haus im ersten Stock, starr vor Angst, daß er nie wirklich leben
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