Taenzer der Nacht
te, und hoffte nur, daß Michael nicht durch das graue Tuch hindurch das Zittern sehen konnte, das dadurch entstanden war, daß Malone plötzlich die Knie weich wurden. Seiner Stimme traute er auch nicht mehr, deshalb ging er schnell weg.
Dieser Verrat seines Körpers überraschte ihn, und er ging in blankem Zorn zu seinem Zimmer hinauf. Er stieß mit dem Fuß nach dem Papierkorb, knallte die Schub laden zu, und fluchte laut, als er sich auszog. Es war natürlich völlig abwegig, genau die falsche Art von Liebe; es war genau das, was er – der überall Erfolg gehabt hatte, der so glorreich, so ein Vorbild gewesen war – sich überhaupt nicht erlauben durfte. Es war genauso, als ob er sich letzten Endes habe ein ge stehen müssen, Krebs zu haben. Er sah in diesem Augenblick einen Lebensweg vor sich, den er sich über haupt nicht vorstellen konnte einzuschlagen, ein hoffnungsloser Abgrund. Auf jeden Fall war er verloren: Tat er, was schlecht war, so verurteilte er sich selbst, und tat er, was recht war, so blieb er ein Fan tom. Er konnte sich schon in zwanzig Jahren in einem Haus wie diesem in einem Vorort sehen, mit achtund zwan zig Zimmern und niemandem drin. Es machte ihn wütend, daß ausgerechnet er, der ein so diszipli nier tes, so korrektes Leben geführt hatte, nun zu Hilf lo sigkeit und Tränen über diesen völlig nichtsahnen den Abiturienten verdammt war, der jetzt zur Schwimmannschaft des Beloit College wechselte.
Er stand vom Bett auf und schaute aus dem Fenster auf den Gärtner, der gerade die Gardenien bearbeitete. In einem einzigen Moment erahnte er die ungeheure Gleich gültigkeit der Natur – das perfekte Chaos, den Zufallscharakter des Universums –, denn es war ganz offensichtlich, daß dieser, wie er sich da über die Pflan zen beugte, an nichts anderes als die richtige Verdün nung des Giftes dachte, das er gerade anrührte, um die roten Spinnen umzubringen, die die Kamelien befallen hatten; und er, Malone, erlebte währenddessen eine unerträgliche Tragödie.
Ein vernünftiger Mann hätte über Malone gelacht; hätte ihn melodramatisch, sentimental genannt; hätte ihn ermuntert, in seinem Leben fortzufahren und aufzu hören zu denken, er sei in die äußerste Finsternis gestoßen – Unsinn! Aber Malone war nicht so vernünf tig. Manchen bedeutet Liebe eben mehr als anderen. Und diese Nacht erlebte er seinen Tod, als er oben im Haus der Witwe lag, an dem langen Flur von leeren Räumen, in deren Treppenhaus der Geruch von „Cold Cream“ und das Geräusch des Fernsehprogramms, das unten eingeschaltet war, emporstieg. In diesem Mo ment, in dem sich der Organismus normalerweise erholt, verging Malone wie die Ringelblumen, die vor einer Woche in ihren Töpfen eingegangen waren, ohne daß man einen irdischen Grund dafür hätte feststellen können.
Seine ganze Liebe war wie eine Pflanze gewachsen und gestorben, von Gleichgültigkeit über Liebe bis zum Verlöschen, und keine einzige Umarmung, kein Kuß, kein Wort war gewechselt worden zwischen ihm und seinem Geliebten. Er hörte, wie die Witwe unten zu ihm sprach, hörte die Tür zu fallen, als sie wieder in die Küche ging, und er hörte das Gartentor sich öffnen und wieder schließen, durch das der Junge nach Hause ging, während er da lag und an die Decke starrte, wie ein Bild auf einem etruskischen Grabmal.
In dieser Nacht stand er auf, zog sein braunes Polo hemd an, von dem jeder fand, daß er darin besonders gut aussehe, ging die Treppe hinunter und fuhr mit seinem Wagen weg, er wußte nicht wohin. Er fuhr einfach. Er fuhr durch die Wildnis der Tankstellen und Schnellimbisse, die Washington belagern, wie einst die Armee der Südstaaten, fuhr durch dieses rote Glühen der Würstchenbuden und Neuwagenausstellungs räu me, in denen alles, Autos, Gesichter, Körper in einem außerirdischen Licht strahlt, und fuhr immer weiter— er hätte sich nie eingestanden, was er eigentlich wollte – bis er zum Dupont Circle kam, dort anhielt, in den Park ging, auf einen Mann traf und ihm einen blies.
All dies geschah in einem Zustand, der zugleich trance artig und klar bewußt war; als ob ein anderes Wesen für eine bestimmte Zeit die Hülle, aus der Malone bestand, besetzt hätte.
Als er nach Hause kam und aus seiner Trance auf wachte – wie ein Mann, der gerade jemanden umge bracht hat, in seine Wohnung zurückkehrt und sich zu einem Teller Suppe hinsetzt – nahm Malone eine stun den lange Dusche und wusch sich den Mund mit Seife aus. Er saß
Weitere Kostenlose Bücher