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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Holleran
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den ganzen Rest der Nacht wach und schrieb in seinem Tagebuch. Er schrieb ein Gedicht. Er schrieb über die Tatsache, daß er zum ersten Mal seinen Mund für etwas anderes benutzt hatte, als die beiden tadelsfreien Funktionen – Reden und die Ein nah me von Essen – und ihn damit völlig entweiht hatte. Diese Lippen, diese Kehle, die bisher nur mit Milch, Äpfeln, Brot und anderen lebensspendenden Dingen in Berührung gekommen war, war jetzt hoff nungslos besudelt. Denn Malone glaubte in einem unkla ren, aber wörtlichen Sinn, daß der Körper der Tempel des Heiligen Geistes sei: das reine Gefäß. Er saß da und beobachtete, wie draußen der Garten lang sam aus der Dunkelheit auftauchte. Es war sein erster so kläglicher, aber doch höchst lebendiger Sonnenaufgang, und er beobachtete ihn schweigend in einem hellen, klaren Zustand der Selbst v erurteilung, im Ver gleich zu dem jedes Gottesgericht verblaßt wäre.
    Ein Jahr verging, als ob jene Nacht nie stattgefunden hätte. Malone blieb keusch. Die Witwe starb im folgen den Frühjahr, und Malone zog in die Stadt und nahm sich ein Apartment im Nordwesten; und er lebte ein ruhiges Leben. Er spielte Squash mit dem Kollegen, der geheiratet hatte, weil er der Ansicht war, man solle das mit dreißig. Er besichtigte Museen und bestaunte seinen Liebling Watteau, und fuhr zu Plätzen der Um gebung, auf denen der Bürgerkieg getobt hatte. Aber sein Interesse für Geschichte kam ihm jetzt wie ein Interesse am Tod vor, und die kalte Haut seines Ge sich tes, als er auf einem gelbbrauenen Hügel stand und die kahlen Bäume vor dem bleichen Himmel anstarrte, beflügelte seine Seele nicht mehr, sondern gab ihr das Gefühl, zum gleichen Schicksal wie die Natur verdammt zu sein. Sein Geist begann über den Ver zwickt heiten von Darlehensvorauszahlungen abzu schwei fen, und er konnte die Papiere auf seinem Schreib tisch nicht mehr mit der üblichen Geschwin dig keit durcharbeiten. Schon mitten am Tag hatte er das Gefühl, in den Abgrund zu fallen, den er jetzt mit sich herumtrug, die Gewißheit, daß er nicht mehr allein oder ohne Liebe leben könne. Diese Tatsache verän der te seine Einstellung gegenüber seiner Arbeit. Sie kam ihm jetzt nur noch als das notwendige Übel vor, das er im Austausch mit auswärts essen Gehen, Tennisstun den und einer Woche im Sommer in französischen Kathedralen in Kauf nehmen mußte. Das bürgerliche sich Einrichten in der Welt, seine eigene parasitäre Bezie hung zu einer riesigen, unpersönlichen Wirt schaft, von der er seinen Lebensunterhalt bezog – all das stieß ihn plötzlich eigenartig ab. Er las Heines Be merkung: „Ruhm ist nicht so viel wert wie der Kuß eines Milchmädchens“, und dachte: Geld auch nicht, und Luxus und Ansehen auch nicht.
    In seinen ganz niedergeschlagenen Nächten ging er einfach hinaus in einen Park von Washington, setzte sich auf eine Bank und betrachtete seine Gefährten – diese Bewohner der Hölle, dachte er düster, dieser Rei gen der Verdammten – bis die Vögel um ihn herum anfin gen zu singen, und er bei Sonnenaufgang nach Hause eilte, wie ein Mann, der lange am Ufer steht und sich dann entschließt, doch nicht ins Wasser zu gehen. Es ist kälter, als er dachte, der Himmel feindselig, er verliert den Mut. Er saß an seinem Schreibtisch wie ein Büßer im Beichtstuhl, und brütete über dem Tagebuch, das die Liebe zu dem Gärtner ihn angeregt hatte anzu fangen. Die kurzen Sätze darin enthielten nicht einmal den Namen des jungen Mannes, sondern er nannte ihn X (so erschreckt war Malone von seinen eigenen Emo tionen). Malone war von einer Frau aufgezogen wor den, die zugleich irisch und katholisch war, in einem gutbürgerlichen Heim, in dem schon schlechte Tisch ma nie ren eine Sünde waren, um wieviel mehr dieser Sturm in seinem Herzen.
    „Meine einzige Hoffnung“, schrieb er in ein fest ge bun denes Buch, das den Kontobüchern von Buchhal tern aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts glich, „ruht auf den Männern, die da um den Brunnen wandern. Sie sind mein Schicksal, und wenn ich wirklich leben will, dann mit ihnen. Vor allem habe ich auch gar keine Wahl. Ich wurde nie von Armut, Krankheit oder Un glück heimgesucht, und jetzt werde ich von so etwas überfallen. Ein Scherz Gottes. Sein kleiner Scherz. Um uns menschlich zu halten. Den Stolzen herunterzu drücken. Und wie stolz bin ich gewesen.“
    Es schien reichlich sentimental, es als das Kreuz auf zu fassen, das er eben im Leben tragen mußte, aber

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