Taenzer der Nacht
anzünden; trank an man chen Abenden und bestand darauf, daß er sich im höhlenartig beleuchteten Wohnzimmer zu ihr setzte, wenn sie von Schnee und Weihnachten in Chicago erzählte. Dann stand sie manchmal auf und tanzte zum Plattenspieler – tanzte mit ihm oder ohne ihn durch den Raum, wie die Motten gegen das Fliegengitter stoßen. „Was auch immer du machst“, sagte sie, „ver liere nie deinen Humor. Und tanze! Ich hoffe nur, du kannst auch tanzen!“ Und Malone stand auf und tanz te für sie. Nachher träumt er dann von Schlitten und Schneenächten, davon, daß seine Mutter ihn immer liebte, davon, daß er der allerbeste Tänzer sei, von Fäustlingen und Decken und Schneefall. An den heiße sten Nächten, wenn die Passatwinde durch den gan zen Bungalow bliesen, träumte er vom Schnee; an den endlosen Nachmittagen davon, ein Heiliger zu sein; er träumte eigentlich immer.
Malone war eine dieser weichen und empfänglichen Naturen, die alle Eindrücke wie flüssiges Wachs auf sau gen: Jahre später, als er schon weggeschickt wor den war, würde er sich noch an die ölig-schwarzen Schatten erinnern, die die Dattelpalmen im Mondlicht auf den Boden des Hofes warfen; an seine im erleuch teten Zimmer tanzende Mutter; an das schmerzvolle Stöhnen des Windes in den herabgelassenen Jalousien; an die sonnenverbrannten Gesichter der holländischen Seeleute, die sich nach dem Duschen auf die Veranda des Hotels neben der Kirche setzten, in die er gerade mit seiner Mutter ging; an das Parfüm, das sie für die Kirche auflegte, und die Locken ihres Haares hinter den Ohren; an das Sonnenlicht, das helle Streifen auf die Fliesen warf; an den Glanz der in der Sonne glühenden Granitfelsen; den Wind in den Bäumen. Aber die Eindrücke, die er aus dem erleuchteten Bun ga low mitnahm, waren so widersprüchlich wie die Hitze der Tage und die Träume von nördlichem Schnee. Von seiner Mutter hatte er das liebende Herz, von seinem Vater eine gewisse deutsche Kälte, die ihn später in seinem Leben manchmal überraschte wie eine Leiche, die sich plötzlich in ihrem Sarg aufrichtet, als er inmitten seiner höchst emotionalen Phase merkte, daß auch er kalt sein konnte. Dieser Gegensatz zwischen dem vernunftbestimmten Vater und der launischen Mut ter – nördlicher Schnee und tropische Nächte, See leute, die den Mädchen nachpfiffen, wenn sie die Straße in der heißen Sonne hinuntergingen, und Christus, der in der dunklen Kirche am Kreuz starb – war wie ein gigantisches Verhängnis, das schlafend unter der Erde liegt, bis Jahre anwachsenden Drucks es eines Tages ausbrechen lassen. Daß er schwul war, war da von nur ein Aspekt. Er glaubte nicht, daß seine Kind heit irgendwie anders war als die von anderen, bei denen die gleichen, wenn nicht stärkere Spannungen Heterosexuelle hervorgebracht hatten – und schließ lich, nachdem er sich jahrelang Sorgen um die Ursache für diese unangenehme Eigenschaft gemacht hatte, kam er zu dem Schluß, daß eine Hexe ihren Zauber stab eines Nachts in Ceylon über ihn ausgestreckt habe.
Die Bibel sagt, ein zerrissener Mann ist in jeder Hin sicht haltlos. Das Kind wußte das noch nicht. Das Kind war sorgsam und gut erzogen, und löste alle Probleme, indem es an jedem ersten Freitag im Monat einen Be richt des Klassenlehrers mit nach Hause brachte, der Mutter und Vater erfreute. So unterschiedlich die bei den auch waren, so wollten doch beide, daß er Erfolg in der Schule hatte. Und den hatte er auch. Sein Erdkundelehrer, der portugiesische Gärtner, seine Schul ka me raden: alle mochten ihn wegen seiner überragen den Leistungen. „Mach’ einen Abschluß in Recht und Wirtschaft“, sagte sein Vater eines Tages zu ihm, „und alle werden sich um dich reißen.“ Mit fünfzehn wurde er nach Amerika eingeschifft, wie eine Ananas beson derer Qualität, um sich in einem Internat in Vermont einzuschreiben; und so winkte er – in dessen Inneren alles noch ungeklärt, verworren und unfertig aussah, der noch dachte, die größte Herausforderung des Lebens sei es, eine Prüfung in Trigonometrie zu beste hen –, dem Mann und der Frau zum Abschied zu, deren eigenes Leben, wie er später erfahren sollte, den Schlüssel zu seinem enthielt. Während ihre Gestalten allmählich kleiner wurden auf dem Dock von Sura banda, zwischen den Palmen und den weiß geputzten Häusern, und das Hausmädchen neben ihnen anfing zu weinen, bewegte er sich immer weiter weg von einem Geheimnis, das vom Erwachsenwerden nur
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