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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Holleran
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verheiratet waren, und als sie sich ein Jahr später scheiden ließen, war er völlig überrascht. Er hatte das Gefühl, daß seine Gegenwart ihnen Unglück gebracht habe. Er hatte noch andere verheiratete Freunde in anderen Vorstädten, aber sie zu besuchen, gab ihm noch mehr das Gefühl, allein stehend zu sein.
    Er begann, sich für Weine zu interessieren. Er trat dem Sierra Club bei. Immer, wenn er eigentlich vor hatte, mit ihnen an einem Ausflug teilzunehmen, sagte er im letzten Moment wieder ab – so sehr schämte er sich seiner Einsamkeit. Er war sehr stolz. Er haßte es, Junggeselle zu sein. Gleichzeit i g opferte er sich für seine Familie auf. Er telefonierte jeden Monat mit seinen Eltern. Er schickte seiner Nichte und seinem Nef fen zu Weihnachten Geschenke. Er schenkte jedem von ihnen ein Hundert-Dollar-Wertpapier zum Geburtstag. Er begann mit Langlauf. Im Herbst rannte er allein auf den Landstraßen, deren Schönheit ihn schmerzerfüllt zurückließ. Er aß vernünftig, vermied Cholesterin und nahm jeden Morgen Bierhefe und ein Glas Orangensaft zu sich. Er war ein richtiger Repräsentant seiner Klas se. Die Welt quälte ihn: ihre Häßlichkeit, ihre Korrupt heit, ihre Gemeinheit. Sonntags verbrachte er den Nachmittag damit, die Times zu lesen. Wenn er aus geschäftlichen Gründen nach New York kam, sah er die in die Wolken ragenden Türme mit den Augen seiner Klassenkameraden: ein Asphaltschlackenhau fen, der unter einem braunen Leichentuch aus Giftga sen vor sich hin brodelte. Er gehörte zu der Sorte Men schen, die eine Umweltschutzorganisation anrufen, wenn sie länger als die gesetzlich erlaubten zehn Minuten schwarzen Rauch aus einem Schornstein von Manhattan aufsteigen sehen. Er überlegte sich, ob er eine Gasmaske tragen sollte, wenn er von seinem Büro zum Yale Club radelte, aber entschied dann, daß das doch zu albern aussehen würde. Busabgase machten ihn wütend. Aufmerksam beobachtete er die Stadt archi tektur. Ihre Mittelmäßigkeit, das Fehlen schöner Straßen und lieblicher Plätze quälte ihn. Nachts lag er wach und plante die Stadt neu. Er trat dem Komitee zur Wiederaufforstung der Fifth Avenue bei, weil er dachte, mit Bäumen könnte alles noch gerettet werden, aber schließlich gab er die Hoffnung darauf auf, und zog sich aus ihren Sammelaktionen und Wohltätig keits veranstaltungen zurück.
    Er fühlte sich einsam und ohnmächtig. Er verzwei fel te an der Politik; die Welt schien wie die Stadt ein un re gierbares Chaos zu sein, voller schreiender, bestech licher Babies, ein wüster Kindergarten voller kindli cher Verbrecher, auf die man scharf aufpassen mußte. Er verirrte sich spät nachts auf der Autobahn im gelb braunen, grellen Licht der Raffinerien von Jersey, und war sicher, in der Hölle zu sein. Seine Weine, seine Exkur sionen durchs ganze Land, seine Theaterbesuche machten in genauso unglücklich wie die Momente der Entscheidungsunfähigkeit im Reformhaus, wenn er den Einruck ha t te, sein Leben sei vor der Wahl zwi schen zwei Vitaminen völlig zum Stillstand gekom men. Eines Nachts, als er mit dem Zug nach Hause nach Connecticut fuhr, fand er sich plötzlich in dem klimatisierten Wagen wieder, wie er auf eine Seite des New Yorker auf seinem Schoß starrte. Sein Verstand setzte aus. Die Seite leuchtete mit einem eiskalten Glanz in dem fluoreszierenden Licht: Er starrte auf ihre leuchtende Oberfläche, auf das hellgraue Fisch grät muster seines Hosenbeins. Schließlich kam er an seinem Bahnhof an. In nachtwandlerischer Benom men heit stieg er aus. Er begegnete niemandem. Er hatte das Gefühl, er müsse jemanden um Hilfe rufen – aber wen?
    Ich hatte Malone früher an diesem Abend gesehen, bei einer Einladung bei Hirschl & Adler, der Galerie in der East Sixty-seventh Street. Es war eine Vernissage von Portraits von John Singleton Copley. Sie war voll von Firmenanwälten wie ihm, ihren Frauen, und den älteren Herren, deren Smokings schon ihre Väter und Großväter getragen hatten: Sie bildeten immer noch eine eigene Klasse, unempfindlich für den Zerfall der städtischen Gesellschaft. Malone paßte da gut hinein, und außer wegen seines guten Aussehens wäre er mir nie aufgefallen. Aber er tat es, als ich ihre Mitte mit meinem Tablett voll Knab bereien und Champagner durchquerte. Er sprach auch dort in seiner lebhaften, elektrisierenden Art, aber es wirkte doch etwas depla ziert, unverhältnismäßig zu seiner Umgebung. Das so verwirrende Lächeln wirkte brüchig – fast

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