Taenzer der Nacht
er beugte sein Gesicht zu Malone und begann mit der tiefen Erforschung des fremden Mundes; und Malone dachte, während sie sich küßten, daß einem dadurch die Seele geradezu aus dem Körper gesogen wird ...
Frankies Haut war ausgesprochen sanft; Malone konn te es gar nicht glauben und fuhr ihm immer wieder mit der Hand über den Bauch und die Glieder, als ob er feststellen wollte, aus welchem Material sie denn nun gemacht seien, wie ein Einkäufer in Hong kong Seiden betastet. Wenn ihre Glieder nach der Liebe ineinander verschränkt waren, war das Gefühl von Frankies Körper an seinem so sanft, so wohltuend, und wenn Frankie in den Schlaf wegglitt, war Malone weiter denn je vom Schlaf entfernt; er hätte am liebsten in der Dunkelheit den Kopf gehoben und zu jeman dem gesagt: „Du bist Zeuge, ich bin völlig glücklich. Dieser Junge ist ein Wunder. Daß er mich liebt, ein weiteres Wunder.“ Und er würde in der Dunkelheit nach einer Uhr oder sonst einem Geräusch horchen, als ob die ganze Welt verschwunden sei, und nur er und Frankie aufgrund ihres völligen Glücks noch existier ten. Wenn er sich zurücklegte, und Frankies dunkles, weiches Haar an seiner Schulter ruhte, und der Wind, der über den Hafen kam, sanft am Fenster zu rütteln begann, fühlte er sich, als seien sie auf einem hohen Felsen über der We l t, so einsam wie Schäfer auf einer Felsenspitze auf einem Gemälde von Caspar David Friedrich – ganz allein in der weichen, blauen, windi gen Welt. Malone lag die ganze Nacht erfüllt von Ver wun derung und Friedfertigkeit wach, wie ein Schäfer, der über seine Herde wacht, aber die Wache war nicht beschwerlich, diese Wache war eine Freude. Als es später in großen Schauern zu regnen begann, die in die leere Straße unter die orangen Straßenlampen schütte ten, mußte Malone sich Frankies Umarmung entziehen und auf der anderen Seite des Stockwerks ein Fenster schließen. Als er zurückkam, merkte er, daß Frankie aufgewacht war. Er kroch zu ihm unter die Decken und spürte die Wärme von Frankies Körper, die Wär me seines Bauches, seiner Beine und Arme, die ihn sofort umgab, als sei Frankie eine dieser Pflanzen, die sich selbst an Stein oder Schmiedeeisen festhalten, sich mit ihren kleinen hellgrünen Fühlern drumherum rol len und festklammern, damit der Wein nachwachsen kann; und Malone hatte das Gefühl, daß sein Glück über ihm zusammenschlug.
Er hatte das Gefühl, nicht von Frankie, sondern von der ganzen Welt, von Gott umarmt und zwischen die warmen Decken aufgenommen zu werden, und er lag da, hörte auf Frankies Herz, das an seine Ohren pochte, und hatte Angst zu atmen, so glücklich war er; bis Frankie ihn küßte, und er aufblickte und in dem fahlen Licht der Straßenlampen die Z ärt lichkeit und Dankbarkeit sah, die Frankies Augen überfluteten und sie glitzern und sprühen ließen wie der Regen draußen, wenn er zu Malone herunterblickte mit dem matten Lächeln eines Mannes, der in der Nacht auf wacht und feststellt, daß er nicht nur in Sicherheit, sondern in Liebe ruht. Frankie lächelte ihn nur an, aber für diesen Blick, diese Augen, hätte Malone die Welt gegeben.
Und während er Frankie an jenen heißen Nachmit ta gen umarmte, kehrte Malone zum Ursprung seiner Existenz zurück: zu den heißen Nachmittagen unter rauschenden Dattelpalmen in einem grünen Hof, dem Parfüm seiner Mutter, dem Geruch der glatten weißen Hemden seines Vaters und der Klimaanlage, die ihnen anhaftete, zu den Lapislazuli-Lagunen, den Frachtern, den Palmwedeln, die in der Sonne glitzerten, als ob Wasser von ihnen herabflösse, dem schrillen Ton der Fabrikpfeifen um ein Uhr, dem Nickerchen am Nach mittag, den schwarzen Frauen in Umhängetüchern, die in der Kirche den Rosenkranz beteten; und die üblen Jahre pflichtgetreuen Verhaltens fielen von ihm ab, und Malone fühlte sich von Frieden erfüllt wie zu der Zeit, als er mit Irene an den Waschkesseln saß, und sie Lieder sang und ihre Haare mit einem heißen Eisen glättete. Das hatte die Liebe erreicht. Die Liebeslieder, die man im Radio hört, stimmen eigentlich genau, stell te Malone jetzt fest. Jedes Mal, wenn er mit seinen Lippen über die Höhlung von Frankies Bauch strich, schob er die Nächte der Einsamkeit, das „Cold Cream“ der Witwe, die sterilen Jahre seiner verlorenen Jugend weiter weg, und er vergrub sich bei dem Gedanken daran nur umso tiefer in Frankies Fleisch. Er schaute in diesem Moment auf, und Frankie lächelte zu ihm herab mit
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