Taenzer der Nacht
Bahnhof.
Malone stieg in dem Gefühl ein, sein Lebensziel zu verpassen; mit der ruhigen Verzweiflung von jeman dem, der dem Tod entgegengeht, setzte er sich in den Zug und starrte auf ein Plakat für Lammkoteletts. Die U-Bahn fuhr ab und trug ihn polternd vom Zentrum seines Lebens weg, dem Grund, weshalb er nach New York gekommen war.
Aber was soll man unter solchen Umständen anderes tun, als einzusteigen? Die Türen knallen zu, und du rast hinweg von dem, was dir im tiefsten Inneren deines Herzens am meisten bedeutet.
Er trug dieses Gesicht wie ein Banner wochenlang in seinem Herzen herum, und dann sah er ihn wieder vor der Leumi Bank am Union Square, und er lächelte gläu big bei diesem Beweis einer anderen Existenz; denn jetzt brauchte er nicht mehr nachts die U-Bahn tunnel nach ihm abzusuchen. Der Mann stieg in ein Taxi und fuhr weg, bevor Malone zu ihm gelangen konnte. Ein weiterer Monat verging, aber Malone fühlte jetzt in den Straßen sicheren Grund unter den Füßen, und überließ es Gottes Fügung, ob sie sich wieder treffen würden; und in dieser Schicksalserge ben heit, Ruhe und reinen Demut war er überhaupt nicht darauf vorbereitet, eines Nachmittags in die Un ter suchungsstelle für Geschlechtskrankheiten an der Ninth Avenue zu marschieren, um einen Bluttest machen zu lassen, und ihn dort im Warteraum sitzen zu sehen und trübe in einer Zeitschrift zu blättern. Er schaute zu Malone auf. Die gleiche zeitlose Pause ent stand, als ob die Welt plötzlich in ihrer hysterischen Be wegung innehielt; und Malone stand für einen Moment mitten im Raum, und wußte nicht, was er tun sollte. Sich als sexuelle Wesen an einem solchen Platz zu treffen! Die Krankenschwester rief „Mr. Oliveiri“, und der Mann stand auf und ging ins Behandlungs zimmer, und Malone setzte sich klopfenden Herzens hin und dachte: Wenigstens weiß ich jetzt seinen Na men.
Bei seiner eigenen Besprechung mit dem Arzt, in der sonst zu seiner Belustigung die körperlichen Aus schwei fungen seiner Seele so klinisch diskutiert wur den, konnte er nur auf seiner Stuhlkante sitzen und denken, daß all sein Herumficken bis jetzt nur sinn loses Hin-und Herwälzen gewesen war, daß er dies mal gesund sein mußte, denn die Liebe selbst saß im Wartezimmer. Malone lief gleich hinaus und sah ihn an der Schwelle stehen und auf ihn warten.
„Hallo“, sagte er. „Hallo“, sagte Malone. Er hatte sich gefragt, was er wohl sagen sollte, und jetzt, während sie sprachen, merkte er, daß das ganz egal war: alles führte zum Ziel.
Sie zogen in ein verlassenes Haus in Lower Man hat tan. Der Sommer fing gerade an, und sie waren in diesem Teil der Stadt so allein wie auf einer Wiese in Vermont. Die zerfallenden Fabriken, kopfsteinge pfla sterte Gassen, das Gras, das zwischen den Steinen wuchs, die mit Glasscherben übersäten verlassenen Grundstücke, die rostenden Kotflügel schufen ländli che Stille und Frieden unter den strahlend weißen Wolken, die über sie hinweg zogen. Frankie verließ für Malone Frau und Kind. Er hatte mit ihnen in Bayonne gelebt, wo er auch aufgewachsen war und geheiratet hatte. Er mochte die Großstadt nicht, aber zog trotz dem her, um mit Malone zusammenzuwohnen. Er hatte die Eigenschaften, die Malone schon an den Jungen aus New Jersey bemerkt hatte, die irgendwie netter waren als die, die nach Manhattan gekommen waren, um ihre Karriere voranzutreiben. Er hatte jetzt einen Tagesjob, weil er aus seiner Nachtgruppe ver setzt worden war. Frankie war noch nie in eine Bar gegangen, hatte es auch nie gewollt, hatte zwar von Fire Island gehört, aber hielt es für einen „Tunten haufen“, und lebte ein Leben, das abgesehen davon, daß er mit Malone schlief, wohl kaum homosexuell zu nennen war.
Der Platz, den sie gefunden hatten, war in Sichtweite von Frankies früherem Haus am Ufer von New Jersey, jenseits des flachen, silbernen Flusses an diesen heißen Sommernachmittagen: Sie wohnten völlig allein über dem leeren West Side Highway. Sie hatten ein ganzes Stockwerk, das vor Jahren voller Frauen war, die emsig Garn für Unterhosen spannen; jetzt ließen Malone und Frankie sich wie Baumtiere hoch oben in den Ruinen dieser Stadt aus Stahl und Technik nieder, nackt in der Hitze, helle Gestalten, die wie Staubkörn chen in dem Strahl tanzten, den die Sonne zwischen zwei Stahlträgern auf den staubigen Boden warf. Hoch über dem Niemandsland, zwischen dem Finanzviertel und der Gegend, die vielleicht einmal das Village wer den
Weitere Kostenlose Bücher