Taenzer der Nacht
Leuten zuschaut, wie sie vorbeigehen! Ich dachte wirklich, es sei ihre osteuro pä ische Seele, irgendeine dunkle Mischung aus Faulheit und Pessimismus, die sie dazu brachte. Aber jetzt“, sag te er und seufzte, während er seine Aufmerksam keit wieder den vorbeieilenden Massen zuwandte, „ver stehe ich völlig, warum sie das tun.“ Und so saß er wieder da, das Kinn auf die Hand gestützt, ein Ameri kaner, der nicht mit seiner Zeit geizt.
Er saß da in seinem offenen Hemd, badete in der Brise, die über die Stadt zog, die Straßen hochstieg und dann zum blauen Horizont, um über dem Hudson wieder hinunterzufallen. Aus den Feuerhydranten ström te Wasser mit beruhigendem Plätschern. Zwei puer toricanische Mütter saßen auf ihren benachbarten Veranden und gaben ihren Babies Limonade zu trin ken, und ein Stück weiter spielte ein Mann Gitarre, während zwei Frauen in Shorts und Lockenwicklern zusammen Merengue tanzten. Wie die Stadt glühte! Die Wasserströme in den Rinnsteinen, die kühle Brise des Sonnenuntergangs, die seinen verschwitzten Bauch frösteln ließ, das tiefe Blau der Nacht, das sich im Himmelsviereck am westlichen Ende der Eighth Street verstärkte und zu einem tiefen, herzzer reißen den Indigo wurde, während Dutzende von Radios Wer bung für Clorox und Goya-Mehl durch Dutzende von Fenstern hinausplärrten, alles badete in Schönheit; und als schließlich die Stadt anfing sich abzukühlen, und er so in der anregenden Gesellschaft von Schwu len dasaß, dachte er, daß er zumindest sein Leben auf dieses eine Ziel ausgerichtet hatte – Liebe –, und daß ihn die Liebe hierher geführt hatte, so wie sein Vater von der Suche nach Öl nach Ceylon geführt worden war.
Und weiter wurde ihm klar, während er noch immer dasaß, daß er – oder jeder andere von uns – in Wirk lich keit nicht in einen Rafael oder Jesus oder den Mann, den wir vor vier Jahren beim Tanzen gesehen hatten, verliebt war, sondern in seine eigenen Gefühle, das animalische Glücksgefühl des Lebens an sich. Als ob er immer weiter die Leiter der Liebe hochgestiegen wäre, war er dabei angelangt, nicht nur Rafael, son dern alle Rafaels der Straße zu verehren – und letzten Endes liebte er die Stadt selbst. Wenn wir auch im Augen blick keinen menschlichen Liebhaber hatten, so hatten wir statt dessen das Indigoblau, das an späten Sommerabenden an den Enden der Straßen der Stadt hervorquoll; den Lufthauch, der einem Gesicht und Schultern badete; das sanfte Wohlgefühl des Schweißes, der einem auf der Brust trocknete; die Tanz melodie, die durch ein Fenster tönte, die duftende Hitze, der warme, wohlriechende Abend; der kleine Mond, der da an dem schmalen Band hellen Himmels hoch über dem Indigo hing und sein silbernes Licht über die Dachspitzen und die ganze Insel ergoß. Malone saß noch lange da, als alle anderen schon hinein gegangen waren, endlich zur Ruhe gekommen, nur noch Zeuge des Sommermondes.
Seine einzige Konzession ans Ziel der Selbstver voll kommnung begann, als sein Arm wieder geheilt war – jeden Abend gegen acht verließ er uns und ging in ein Sportstudio in der Stadt, um eine Stunde lang Gewich te zu heben und Ringe und Barren zu benutzen. Ob wohl er auf einen menschlichen Liebhaber verzichtet hatte, pflegte er doch weiter den Tempel, als ob eines fernen Tages der Gott zurückkehren könne. Denn wenn auf irgendetwas in der schwulen Subkultur mehr Wert gelegt wird als auf ein hübsches Gesicht oder einen großen Schwanz, dann ist es ein gut trai nier ter athletischer Körper. Alles drei zu haben, ist phantastisch; man füge dem noch den besonderen Charme von Malone hinzu, seine Liebesfähigkeit, seine Bereitschaft zur Hingabe, und die Parade der wohl ha benden Männer, die jene Stufen hinaufzog, ist gut zu verstehen.
Sutherland mußte tatsächlich genau planen – er hatte Mal o nes Woche präzise eingeteilt. Mittwoch abends tauch te er in einem Taxi mit dem Düngemittelerben auf, in Hawaiihemd und Sonnenbrille. Der Düngemit tel erbe kam dann gerade von einem Squash-Spiel im Racket-Club, und sein schwarzes Haar glänzte noch vom Duschen; in seinen Shorts, dem weißen Polohemd und den Tennisschuhen hätte er genauso gut auf das Deck der Familienyacht gepaßt, die gerade vor einer Woche für den Sommer von Florida nach Mt. Desert heraufgefahren war. Sutherland (der noch die Quit tung entgegennahm, als sie ausstiegen) hatte nie in sei nem Leben eine Brieftasche benutzt und zog einfach eine Handvoll
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