Taenzer der Nacht
Malone fast jeden Tag hinunter gegangen war, gesäumt von Dutzenden von billigen Lebensmittelläden und Kneipen, vor denen Männer saßen, die Whiskey tranken und wetteten. Dieser blonde Junge aus Idaho hatte sich auf diesem heißen, harten Bürgersteig zertrümmert, vor den Augen der besoffenen Kartenspieler, aus lauter Haß auf seine Jugend, seine Schönheit, seinen Freund. Malone hatte so vielen Leuten zugehört, hatte versucht, ihnen zu helfen, und jetzt fühlte er sich irg e ndwie verantwort lich für diesen Selbstmord; denn er hatte mit ihm viele Nachmittage beim Sport verbracht. „Warum habe ich nicht mit ihm geschlafen?“ sagte er. „Wo wir doch alle so schrecklich allein sind. Das einzige, was wir tun kön nen in diesem Leben, ist, uns zu lieben ... eine Um armung, ein Kuß ...“
Er hatte natürlich recht; aber kann man jeden lieben? Wenn nur genüg e nd von uns genug lieben würden – vielleicht käme dann mithilfe einer arithmetischen Stei ge rung jeder in diesen Genuß. Aber das war eine nutzlose Spekulation für uns, die wir zurückgeblieben waren, die wir uns nicht von einem Hochhaus stürz ten, unter dem Druck einer sommerlichen Hitzewelle, eines Streits mit dem Freund, einer Droge, dachte ich, als wir jetzt so dasaßen. So ein Ende gab es nicht für uns übrige, oder den glorreichen Erfolg einer geglück ten Beziehung: Die Verhältnisse in Amerika waren eben nicht so, was auch Malone wußte, der auf das Was ser zu seinen Füßen starrte – man ging zurück an die Arbeit, kaufte ein Haus, war akzeptiert. Als Kind hatte Malone sein Leben Jesus gewidmet; als Erwach sener einem abenteuerlichen Ideal homosexueller Lie be – jetzt hatten ihn beide leer zurückgelassen. Wir saßen für eine Weile schweigend da, während die Men schenmengen, die mit Drinks in der Hand ans Ufer gekommen waren, um den Sonnenuntergang zu sehen, zu ihren Booten zurückkehrten, ihren Parties und Restaurants.
„Na ja, mein Lieber“, sagte Malone und stand auf mit der nötigen Fähigkeit, die er sich über die Jahre hin weg angeeignet hatte, den Ernst zu verdrängen und zur Munterkeit zurückzukehren – wortwörtlich von der Beerdigung zur Party überzuwechseln – „ich m u ß jetzt mein Haar in Ordnung bringen und den richtigen Nagellack aussuchen.“ Er schaute zu mir herab und lächelte. „Schließlich ist das meine Verlobungsparty.“ Und wir gingen vom Hafen fort, obwohl hinter unse rem Rücken ein Wasserflugzeug landete mit John Schaeffer, zwei älteren Designern, die Lhasa Apsos auf dem Schoß hielten, und dem Discjockey, der auf Suther lands Party spielen sollte, ein siebzehnjähriger Marokkaner aus Brooklyn, den sie auf einem ihrer Aus flüge in die Vorstädte entdeckt hatten.
Als die Schwimmerflächen das Wasser berührten, hatte die Dunkelheit sich schon ganz herabgesenkt, und John Schaeffer traf an Land auf eine Menge von Leuten, die vom Tea Dance nach Hause eilten, sich die nackte Brust rieben und ihre bronzenen Arme, und er hörte ihre warmen Stimmen, die Gelächter und Klatsch in der abendlichen Luft versprühten. Die Lichter im Hafen gingen an, ihre Spiegelbilder zitterten auf dem Wasser, und eine Brise bewegte die Markisen, wäh rend der Millionärssohn und der Discjockey – die bei de nie zuvor hier gewesen waren – die ganze Strand promenade absuchten, bis sie Sutherland fanden, der in Nachthemd und Perücke dastand und vom Flutlicht und einem Nebel von Meersalz leuchtete. Sutherland war gerade aufgestanden, um Abendbrot zu essen. Die drei teilten sich ein Brathuhn, während Sutherland, noch etwas benommen vom Mittagsschlaf, versuchte, Ordnung in John Schaeffers aufgeregte Fragen zu be kommen. „Diese Männer, mit denen ich hergeflogen bin“, sagte John, „einer von ihnen nahm zum ersten Mal einen deutschen Freund mit hierher, und ich hörte, wie er zu dem Deutschen sagte: „Du darfst nicht vergessen, daß alle, die hierher kommen, in sich selbst verliebt sind.“ Er legte sein Hühnerbein hin. „Glaubst du das auch? Sie lieben nur sich selbst?“
Sutherland schlenkerte mit seinem Flügel und schau te John einen Moment sprachlos an. „Ja sicher, weißt du, wir Homosexuellen sind doch alle eine Art einge wachsene Zehennägel...“
„Aber ... “, sagte John Schaeffer. „ ... aber ich liebe doch Malone, nicht mich.“
„Ja, natürlich“, sagte Sutherland. „Mach dir doch kei ne Sorgen“, seufzte er und knabberte an seinem Flügel, „du hast einen Schwanz so dick wie eine Wurst, und
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