Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
er gesagt und ist die Stufen emporgestiegen. Die rotbraunen Holzstufen, deren Farbe in der Mitte von anderen, leichtfüßigeren Schritten abgescheuert wurde.
Zarah wartet.
So, wie er es ihr gesagt hat.
Zarah legt eine Hand auf das Geländer, wärmt das kalte Holz mit ihrem Leben. Sie stellt einen Fuß auf eine Stelle, wo die Farbe noch deckt, zieht sich hoch, und schon hat sie die erste Stufe bezwungen. Die Treppe ist zu steil für ihre kurzen Beine. Zu groß sind die Schuhe, die an ihren Füßen schlappen, und zu rosa. Mit einer weißen Blume aus Leder, die jetzt in der Dunkelheit zu leuchten scheint. Zarah macht Pausen, atmet flach, um kein Geräusch zu verursachen. Endlich oben. Das erste Stockwerk schließt sein Maul um sie.
Aus einem Türspalt fällt müdes, flackerndes Licht auf die Dielen. Zarah kann den Badewannenrand sehen, den Schaum, der sich bauscht, und die Teelichter. Wenn sie sich etwas näher heranschleicht, kann sie noch mehr erkennen. Eine schmale Figur im Nachthemd, die den Kopf gesenkt hält. Ich werde niemals aufhör’n dich zu lieben, glaub’ es mir , summt die Gestalt, was eher einem Stöhnen gleicht. Ich finde wieder Lust an meinem Leben, neben dir. Das lange Haar verschleiert ihr Gesicht. Die junge Frau streift das Hemd ab, und das flackernde Licht leckt an ihrer nackten Haut.
Enya!, möchte Zarah rufen und bleibt still. Warte hier, hat er gesagt, bevor er die Stufen emporgestiegen ist, um jetzt hinter der jungen Frau zu stehen. Seine Hände legen sich auf die zierlichen Schultern, die unter der Berührung leicht nachgeben, als würde das Gewicht sie zerbrechen. Die Hände massieren und streicheln. Ein Stöhnen hallt durch das Bad. Der Kopf neigt sich zur Seite, während das Haar weiterhin das Gesicht verhüllt. Eine Wange streift seinen Handrücken.
Enya!, möchte Zarah rufen. Enya, nein!
Und bleibt still.
Er vergräbt eine Hand in dem langen Haar und wendet sein Gesicht ab. Zeigt für einen Augenblick das steinerne Antlitz, bis seine Züge zu schmelzen beginnen und andere Konturen annehmen. Sein dichter, dunkler Schopf lichtet sich, weicht grau-silbernen Strähnen. Die Haut erschlafft und zeigt Leberflecke. Die Eselsbeine treten von einem Huf auf den anderen.
Zarah bleibt still.
Er schließt die Lider.
Er rammt das Gesicht der Frau in den Wandspiegel.
Die Scherben klirren und fallen zu Boden. Mit ihnen fällt auch die Frau.
Es ist nicht Enya.
Zarah bleibt still.
Sie hatte nicht geschrien, aber ihre Kehle war eng und wund. Sie hatte nicht geschrien, aber ihr fehlte die Luft.
»Scht. Alles ist gut. Beruhige dich. Du bist in Sicherheit. Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt.«
Sie rang nach Atem und bäumte sich auf. Starke Arme umfingen ihren Körper, hielten sie sanft und doch fest genug, dass sie nicht mehr strampelte und zu ersticken glaubte.
»Alles ist gut. Alles ist gut. Du bist in Sicherheit.«
Ihr Keuchen schmerzte sie in der Kehle. Sie blinzelte. Ein fremdes, unberührtes Zimmer. Ein totes Zimmer in der Toten Stadt. Die verblichenen Gardinen von der Farbe verwelkten Grases waren zurückgezogen und ließen das Licht herein, das weiße, entsetzlich grelle Tageslicht. Auf einem Tisch stand eine Vase mit verblassten Kunstblumen. Keine Veilchen.
Über sie beugte sich ein Gesicht, ein wohlbekanntes Gesicht. Feine Züge, das schiefe Nasenbein.
Sie war bei ihm. Er hielt sie im Arm. Sie brauchte keine Veilchen.
Hallo, G.host , würde sie sagen.
Hallo, Zarah , würde er antworten.
Sie hatte ihre erste Begegnung schon so oft in Gedanken geprobt, ohne zu ahnen, dass es nicht ihre erste Begegnung sein würde.
Ihre vernarbte Wange berührte seine Brust. Weiche Wolle schmiegte sich an ihre Haut und trug seine Wärme und seinen Duft zu ihr. Diesen ganz besonderen, betörenden Duft nach Morgengrauen. Nach Nordwind. Und ein wenig nach dem ersten Kuss, der der letzte war.
Warme Finger strichen ihr über die Stirn und tauchten in ihr kurzes Haar. »Wie fühlst du dich?«
Womöglich träumte sie nur. Sie träumte so entsetzlich oft von Gallagher. Und vielleicht sollte sie sich in diesem Traum endlich trauen und ihn küssen, bevor sie aufwachte oder zur Besinnung fand.
»Lessa geht es gut. Danke, dass du sie hierhergebracht hast.«
Sie schaute auf und blickte in seine Augen, in diese unglaublich blauen Augen.
»Danke, dass du sie gerettet hast, als ich es nicht konnte.«
Blaue Augen.
Er bettete sie auf das Kissen, doch sie sammelte ihre Kräfte und stemmte
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