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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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prallten ab, fielen auf die Erde und schlitterten über den Betonboden, die verbeulte Schale zog immer kleiner werdende Kreise und blieb scheppernd liegen.
    »Du musst sie aufspüren, hörst du?« Er schritt auf mich zu, und seine Hand verkrallte sich in meinen Nacken. Bereits die Hälfte der Kraft, mit der er die Schale von sich geschleudert hatte, hätte ausgereicht, um mir das Genick zu brechen. »Ohne ihre Zunge bist du für mich nutzlos.«
    Ich starrte die weißen Punkte auf meinen Nägeln an, die Finger auf der Tischoberfläche gespreizt.
    Der Druck auf meinen Nacken nahm zu. »Hast du überhaupt eine Ahnung, wie wichtig es ist?«
    Ich ballte die Hände und drückte die Fingerkuppen gegen die Handflächen, beobachtete, wie die Sehnen unter der Haut hervortraten. »Ja.«
    »Dann streng dich an, verdammt noch mal!« Er nahm die Plastikkühltasche, trat zur Tür und griff nach der Klinke. »Du hast bereits genug Aufschub bekommen.«
    Ich blieb allein in der Kammer zurück, in der er mich seit einer Weile festhielt. Die Glühbirne unter der Decke tauchte die Betonwände, die mich umschlossen, in ein dämmriges Licht. Wenigstens hatte er mir dieses Licht gelassen, also war er nicht so erzürnt wie üblich. Ich verkroch mich zwischen den Laken. Mein Bett bestand aus einer speckigen Matratze, die eine der Ecken zu meinem Refugium aufwertete.
    Wenn ich ganz still dalag, hörte ich einen Ventilator, der die Luft in meine Kammer blies. Sonst gab es keinen Hinweis darauf, wo ich war und wie lange schon. Mein Kerkermeister verstand es zu gut, mich zu hüten.
    Noch schwebte im Raum der Geruch nach frischem Fleisch aus der Kühltasche. Ich ertappte mich dabei, wie ich immer verbissener an meinen Fingernägeln kaute. Mein Blick fixierte die Aluminiumschale auf dem Boden und die verstreuten Knochen. Das Fleisch daran war sehnig und zäh gewesen. Trotzdem hatte ich es verschlungen, und wäre davon noch etwas übrig geblieben, hätte ich auch den letzten Rest abgelutscht. Schon lange bekam ich nichts Frisches mehr zwischen die Zähne, obwohl mein Kerkermeister – mein Beschützer, wie er sich nannte – meine Sinne damit bei jedem seiner Besuche reizte. Ich wickelte mich noch fester in das Laken ein, riss mit den Zähnen an einem Fingernagel, roch Blut, schmeckte es. Noch bevor ich mich’s versah, biss ich mir ins Fleisch. Der Hunger brodelte in meinen Eingeweiden. Ich kaute und spürte, wie meine anderen Zähne sich aus meinen Kiefern hervorschoben.
    Oh Gütiger, ich war gerade dabei, mich selbst aufzufressen!
    Ich strampelte mich frei, stürzte zur Tür und schlug mit den Handflächen gegen das Metall. »Komm zurück, hörst du? Komm zurück!« Ich glaube, ich weinte sogar.
    Irgendwo ratterte der Ventilator. Es lärmte, es pochte in meinen Ohren, es machte mich wahnsinnig.
    »Gib mir etwas Fleisch! Bitte! Ich flehe dich an!«
    Meine Handflächen schmerzten. Aber nicht stark genug, um mich vom Hunger abzulenken.
    Ich kratzte an der Tür, schlug und kratzte wieder. »Komm zurück!«
    Dann flatterte mein Herz. Etwas kitzelte mein Inneres wie mit einer Feder. Die Stimmen brachen über mich herein, zerrten an mir, drängten sich um mich herum. Ich schüttelte den Kopf, hielt mir die Ohren zu und presste die Stirn gegen die Tür. Meine Augen brannten. Die Magie lockte mich, als wollte sie mir unbedingt etwas zeigen. Ich gab mich ihr hin, löste mich in ihr auf und flog davon – aus meinem Gefängnis hinaus.
    Tara kämpfte sich durch das Dickicht, während ich um sie herum und sogar in ihr schwebte. Ich war überall. Ich war eins mit der Magie geworden – und für den Moment vollkommen.
    Immerzu sah sich Tara um, zuckte bei jedem Geräusch zusammen, auch wenn sie selbst eines verursachte. Das Mädchen kämpfte sich zwischen den Ästen vorwärts, stolperte und ächzte, eilte aber dennoch weiter. Als es auf die Lichtung trat, rannte es die letzten Meter, ließ sich erschöpft auf den Boden sinken, vergrub die Hände tief im Laub. Es wandte das Gesicht dem Himmel zu, aber der verzweifelte Ruf glich eher einem Tierlaut als einem Wort.
    Eine verkrüppelte Gestalt hinkte hinter den Bäumen hervor. Das Mädchen fuhr zusammen, entspannte sich jedoch, als es die näher kommende Frau erkannte. Jeden ihrer Schritte begleitete das vertraute Rasseln einer Kette, die ihr um den Bauch geschlungen war. Eine Axt stellte ihren Gehstock dar.
    »Was machst du hier nur? Ach Kleines. Du sollst mir doch fernbleiben, in Sicherheit.« Die Stimme klang

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