Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
alt und leierte. Die Perchta kniete sich nieder und streichelte dem Mädchen über den Kopf, das vor Erleichterung weinte und das Gesicht an ihrer Brust rieb.
»Ruhig, ruhig. Es wird alles gut.«
Nein, wird es nicht, hätte ich gern erwidert.
Tara stieß einen weiteren tierhaften Laut hervor, der in einem Weinkrampf endete. Es machte keinen Sinn zu reden. Die Mutter würde sie nicht verstehen. Auch nicht, wenn das Gesagte in klare Worte gefasst wäre. Dabei ging dem Mädchen so viel durch den Kopf, während es sich an die Mutter schmiegte. Zum Beispiel Giulias Blick, als diese sie mit ihrem ohne zu fragen genommenen Rasierer im Bad ertappt hatte. Tara hatte sich an der Wade geschnitten. ›Wenn du es nicht kannst, dann lass es einfach.‹ Giulia hatte ihr den Rasierer entrissen und ihn mit zwei Fingern zum Abfalleimer getragen, obwohl sie wusste, dass sie nicht so leicht an einen Ersatz kommen würde. Was ›es‹ in der Bemerkung tatsächlich bedeutete, darüber konnte Tara nur rätseln: sich die Beine zu rasieren oder die Adern aufzuschneiden?
Einige Nächte später war Tara von plätscherndem Wasser und unterdrücktem Gekicher aufgewacht. Vor ihrem Bett hockte der Junge mit dem schneeweißen Haar und goss Wasser von einem Becher in den anderen. Ausgerechnet er! Dessen Namen sie so lange auszusprechen lernte, bis ihre Laute dem Wort Sun glichen. Aber anscheinend mochte er keine Abkürzungen. Hinter ihm scharte sich die glucksende Meute. ›Mal sehen, ob die sich einnässt‹, flüsterte er. Später hatte sie sich oft vorgestellt, wie sie den Becher ergreift und ihn über seinem Kopf leert. Damals hatte sie sich jedoch nur aufgesetzt, die Decke an sich gerafft und gehofft, erst weinen zu müssen, wenn die Meute sich verzogen und sie sich im Bad versteckt hatte.
Die Perchta strich Tara über das Haar und den Rücken, während die Weinkrämpfe den Körper des Mädchens schüttelten. Traurig, ohne zu wissen, was ihre Tochter plagte. Und gleichzeitig froh über das Unwissen, weil sie ohnehin nicht hätte helfen können. »Du musst zurück. Du darfst nicht entdeckt werden. Vor allem nicht von denen, die deinen Wert kennen. Meine kleine, von der Magie geküsste Tara.«
Die Dämonenwelt befand sich in Aufruhr, das wusste ich schon seit Langem. Fieberhaft suchten die Hochrangigen nach solchen wie Tara, die einen besonderen Zugang zur Magie hatten oder bald haben sollten. Um mir zuvorzukommen. Oder mich hervorzulocken.
Das Mädchen klammerte sich an die Gewänder der Perchta. Sanft schob die Frau es von sich und streichelte ihm über das Gesicht. »Geh, bitte.«
Das Mädchen drückte sich erneut an die Mutter. Wieder hielten sie einander im Arm. Jetzt weinte auch die Perchta. Ich sah, wie ihre Tränen das schrumpelige Gesicht verätzten und noch mehr Furchen in die Haut gruben. »Mach es mir nicht noch schwerer. Ich will dich nicht verlieren, und bei mir bist du nicht sicher.«
Tara umarmte sie noch fester. So fest, dass die Mutter kaum zu atmen wagte.
»Du musst gehen.«
Auch die Perchta hielt sie noch fest, den eigenen Worten zum Trotz.
»Du musst gehen, Tara, zurück in die Tote Stadt. Ich darf dich nicht sehen. Dein Erzeuger und die Dämonen würden alles tun, um dich zurückzubekommen.«
Dann endete meine Freiheit. Die Magie zerrte mich zurück in meine Kammer, in meinen Körper. Ich lag auf dem Rücken und starrte mit weit aufgerissenen Augen die Glühbirne an, an der eine Schicht Schmutz und ein paar Spinnenweben klebten. Wie lange war ich fort gewesen? Mein Herz trommelte gegen meine Rippen wie eine Faust, die nach der verlorenen Freiheit verlangte, brannte wie meine Handflächen, die gegen die Tür geschlagen hatten. Mein Körper war mir zu eng, ich erstickte darin.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und die Klinke wurde niedergedrückt. Mein Kerkermeister sah durch den Spalt hinein, und ich dankte der Magie, die mich rechtzeitig zurückgebracht hatte.
Er fragte, ob alles in Ordnung sei.
Ich stützte mich mit den Ellbogen ab. Das Lächeln schlich sich ganz natürlich auf meine Lippen, es hatte wie ich gelernt zu lügen. Ich sagte, ich brauchte etwas zu essen.
Er betrachtete mich nachdenklich. Noch war ich ein Spielzeug in seinen Händen. Nun dann. Ich sollte langsam anfangen, mit ihm zu spielen.
Irgendwo weinte ein Baby.
1 6
Die Treppe führt nach oben und verliert sich im dunklen Schlund des ersten Stockwerks. Nur schemenhaft sind die Wände und ein Türrahmen zu erkennen.
Warte hier , hat
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