Tag der Buße
Erfolg und mangelnder Schlaf machten sie immer mutloser. Sie sollte Peter anrufen und ihm sagen, was sie machte. Aber sie wußte, wie er reagieren würde, und hatte keine Lust auf einen Wutanfall von ihm. Nicht daß Peter jähzornig war, aber er neigte dazu, sie wie ein Kind zu behandeln, und hielt ihr ständig Vorträge.
Aber was hatte sie denn erwartet, als sie einen Mann heiratete, der zwölf Jahre älter war als sie? War das nicht genau das, was sie gewollt hatte, nachdem sie all die Jahre allein gelebt hatte? Hatte sie nicht jemand gewollt, auf den sie sich stützen konnte, nachdem sie so lange allein die Verantwortung für ihre Kinder getragen hatte?
Peter war ihr von Haschem geschickt worden als Geschenk dafür, daß sie diesen furchtbaren Schicksalsschlag überlebt hatte. Von Anfang an war Peter sehr besorgt um sie gewesen und hatte ihr ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Allein seine körperliche Gegenwart war so überwältigend, daß sie sich sofort sicher fühlte, wenn er nur da war. Während der letzten zwei Jahre hatte er ihr Selbstbewußtsein wieder aufgebaut, und jetzt war sie stark und selbständig.
Sie war zufrieden, aber Peter hatte Probleme, sich an ihre Unabhängigkeit zu gewöhnen. Am meisten störte sie, daß er ihrem Urteilsvermögen nicht traute.
Nicht daß sie immer richtig urteilte. Sie schien zugegebenermaßen ein Talent dafür zu haben, sich in heikle Situationen zu bringen. Aber sie hatte keine Lust, sich wie eine Treibhauspflanze behandeln zu lassen. Noam irrte irgendwo herum, war von einem Wahnsinnigen entführt worden. Sie hatte nicht vor, die Heldin zu spielen, aber wenn sie doch helfen konnte, indem sie Flugblätter verteilte, warum denn nicht? Selbst wenn das bedeutete, daß sie um drei Uhr morgens auf dem Flughafen herumlaufen mußte. Immer wieder kam ihr der Gedanke, wenn es nun einer von ihren Söhnen gewesen wäre …?
Sie raffte sich erneut auf, nahm die restlichen Flugblätter aus dem Plastikbeutel und überlegte sich, was sie am nächsten Terminal sagen würde. Plötzlich hörte sie rasche, schwere Schritte hinter sich und wirbelte herum.
Der Blick in Peters Augen. Sie wollte gerade alles erklären, doch er kam ihr zuvor.
»Zumindest hättest du die Freundlichkeit besitzen können, mir eine Nachricht zu hinterlassen!« Er senkte seine Stimme ein wenig. »Was zum Teufel ist bloß in dich gefahren?«
Rina antwortete nicht, aber schaffte es, ihm in die Augen zu sehen. Sein Gesicht war angespannt, aber sein Körper wirkte sehr müde.
Er machte erneut Anstalten zu sprechen, hielt aber inne und rieb sich mit den Händen durchs Gesicht. Dann sah er sie an und sagte: »Warum erzähl ich das überhaupt? Du hörst ja eh nicht auf mich. Hast du was Interessantes herausgefunden?«
Rina fühlte sich beschämt. »Ich hätte dir eine Nachricht hinterlassen sollen …«
»Vergiß es«, sagte Decker. »Weißt du irgendwas Neues?«
»Nein, nichts«, sagte sie leise.
»Hast du alle Terminals auf der linken Seite abgeklappert?«
Rina nickte. »Es tut mir leid …«
»Ich hab gesagt, vergiß es! Wir werden jetzt die anderen Terminals zusammen abklappern.« Er ging los. Sie mußte laufen, um mit ihm Schritt zu halten.
»Warte einen Augenblick«, bat sie.
Decker blieb so abrupt stehen, daß Rina an ihm vorbeischoß. Sie ging zurück und sagte: »Ich will mich nicht rechtfertigen, aber ich bin hierher gefahren, weil ich mir große Sorgen um Noam mache. Peter, immer wenn ich an diesen Jungen denke, habe ich das Gefühl, ich muß irgendwas tun. Paul MacPherson ging es hundeelend, und ich hab befürchtet, daß er das hier nur ganz schludrig machen würde. Außerdem, wenn Noam hier wäre, würde ich ihn am ehesten erkennen.«
»Das ist genau der Grund, weshalb ich mir Sorgen gemacht habe. Was meinst du denn, wie Hersh reagiert hätte, wenn du Noam angesprochen hättest? Meinst du, er hätte gesagt: ›Geh ruhig nach Hause mein Kleiner, dann morde ich halt alleine weiter?‹ Und wieso bist du so sicher, daß Noam ein unschuldiges Opfer ist? Er hätte auch aggressiv reagieren können.«
Rina schwieg.
»Rina, bei der Leiche, die wir gefunden haben, waren die Eingeweide entfernt worden«, sagte Decker. »Macht dir das keine Angst? Mir schon.«
Rina schwieg weiter.
»Und dann läufst du in deiner Naivität ganz allein hier draußen rum.« Decker nahm eine Zigarette heraus und steckte sie sich unangezündet in den Mund. »Deine kleine Nummer hier hat mich zu Tode erschreckt.«
»Ich
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