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Tag der Buße

Titel: Tag der Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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aber das war sein Problem. Paul war nicht in der Verfassung zu arbeiten. Und sie war zu nervös, um zu schlafen.
    Jedes Mal, wenn sie sich Noams Gesicht vorstellte, mußte sie an ihre eigenen Söhne denken. Wie würde sie sich fühlen, wenn die in Gefahr wären? Und Noam war in furchtbarer Gefahr. Selbst Peter hatte erschüttert gewirkt, als er erzählte, was geschehen war. Laut rief sie sich seine Überlegungen ins Gedächtnis zurück.
    Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Hersh erkennt, daß er Noam gar nicht braucht, um zu töten. Dann ist der Junge für ihn nur noch eine Belastung.
    Die Aufgabe, die es zu erledigen galt, war so wichtig, daß sie sie nicht einem kranken Mann überlassen konnte, der einfach nur seine Pflicht tun würde. Hier war jemand gefordert, den die Sache anging.
    Peter würde wütend sein, um so mehr, weil sie den Porsche um diese Uhrzeit benutzen würde. Der war sehr auffällig, und das war nicht gut. Aber das Risiko mußte sie eingehen.
    Sie band sich ein Tuch um den Kopf und zog ihren Mantel an. Die Plastiktüten mit den Flugblättern waren schwer. Wenn sie doch bloß keine Handtasche brauchte. Wie kamen Männer nur ohne aus? Egal, sie würde es schon schaffen. Sie nahm den Ersatzschlüsselbund von der Wand und wog ihn in der Hand. Noch mehr Gewicht. Vielleicht sollte sie einfach die Schlüssel für den Porsche abmachen und den Rest hierlassen.
    Nein, besser alles zusammen lassen. Wenn irgendwas verloren ging, würde Peter noch wütender sein. Sie hängte sich ihre Handtasche über die Schulter und packte mit jeder Hand eine Plastiktüte. Bevor sie die Tür zumachte und abschloß, sah sie noch einmal nach, ob sie ihren Revolver dabei hatte.
    Wie ein alter verläßlicher Freund war er genau da, wo er sein sollte.

27
    Es war eine lange und schweigsame Busfahrt gewesen – ein Segen für Noam. Er haßte den Klang von Hershs Stimme, aber noch mehr haßte er seine eigene Stimme. Er haßte, haßte, haßte alles an sich.
    Hersh und er redeten im Bus nicht nur nicht miteinander. Sie saßen noch nicht mal zusammen, sondern hatten gegenüberliegende Sitze am Gang. Auf den ersten Blick schien Hersh zu dösen, doch sobald Noam sich bewegte, und wenn er sich nur an der Nase kratzte, gingen Hershs Augen auf und verfolgten ihn wie ein wildes Tier.
    Sie hatten auch nicht viel geredet, nachdem es passiert war. Beide waren wie Roboter zurück ins Hotelzimmer geeilt und hatten ihre paar Sachen in die Koffer gepackt. Er hatte die Pistole genommen, Hersh seine Messer. Eine gerechte Aufteilung. Die Pistole war zwar die gefährlichere Waffe, aber Hersh war mit den Messern schneller.
    Nicht daß es Noam viel bedeutete, ob er lebte oder starb. Nach dem, was gesehen war (was abgelaufen war, wie Hersh sich ausgedrückt hatte), war für ihn eh alles vorbei.
    Was hatte er nur getan?
    Immer wieder zerbrach er sich den Kopf darüber, was er hätte tun sollen. Aber es war alles so schnell gegangen. Er hatte nicht klar denken können, als Hersh die Augen aus dem Kopf traten, als er schrie: Helf mir! Der Mann war dabei, Hersh zu erwürgen, um Gottes willen. Da konnte er doch nicht einfach weglaufen. Das konnte er doch nicht machen.
    Doch das Blatt hatte sich ganz schnell gewendet. Plötzlich waren sie die Angreifer. Einen Augenblick später hatte er schon das Bild vor Augen, das ihn ewig verfolgen würde, jener furchtbare Ausdruck im Gesicht des armen Mannes. Eine Totenmaske.
    Noam kniff die Augen zusammen und schüttelte heftig den Kopf in dem verzweifelten Versuch, dieses Bild aus seinem Gedächtnis zu verbannen.
    Nachdem es vorbei war, hatte Hersh mit seinen Messern völlig verrückt gespielt. Noam wußte, er hätte ihn stoppen sollen. Was Hersh getan hatte, war absolut böse. Kein normaler Mensch tat so etwas. Aber Noam hatte nur geweint, weil er zu viel Angst hatte, ihn zu stoppen.
    Dieser Geruch, dieser furchtbare Geruch. Wie hinten in einem Metzgerladen. Bei der bloßen Erinnerung daran mußte Noam schon würgen. Er spürte, wie sein Atem stoßweise ging und sich alles in seinem Kopf zu drehen begann. Er hörte, wie Hersh zu ihm sagte – nein, nicht sagte, wie er ihm befahl –, er solle sich zusammenreißen.
    Reiß dich zusammen.
    Das sagte Noam sich immer wieder. Es war das einzige, was ihn daran hinderte, wahnsinnig zu werden.
     
    Sich in die Hände zu atmen half. Einige Minuten später spürte Noam, wie ihm der Kopf langsam klar wurde. Er sah zu Hersh rüber, der auf dem Rücken lag, die Hände unter dem Kopf,

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