Tag der Buße
verstehe …«
»Nein, du verstehst überhaupt nichts. Denn wenn du verstehen würdest, wärst du nicht hier!« Er riß die Zigarette aus dem Mund und zeigte damit auf sie. »Wenn du mit mir verheiratet bleiben willst, dann halt dich aus meiner Arbeit raus. Wir sind keine Partner. Versuch nicht, meine Fälle zu lösen, denn du hilfst mir nicht, wenn du das tust. Du behinderst mich nur. Ich werde dann so verdammt nervös, weil ich auf dich aufpassen muß, daß ich nicht vernünftig arbeiten kann.«
»Wenn das vorbei ist, nie wieder.«
»Das hab ich schon mal gehört.«
»Ich verspreche es dir, Peter, nie wieder. Noam ist halt ein besonderer Fall.«
»Er ist mein besonderer Fall, nicht deiner. Rina, ich hasse es, so mit dir zu reden, aber mir bleibt ja wohl nichts anderes übrig, damit überhaupt was bei dir ankommt.«
»Ist ja schon gut. Ich bin nicht sauer. Siehst du, ich lächele sogar.« Rina lächelte. »Siehst du, ich bin glücklich.«
Sie lächelte so breit, daß es ihr fast die Wangen zu sprengen schien. Decker mußte lachen. Er seufzte und nahm sie fest in die Arme. »Du kannst einen wahnsinnig machen. Aber ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Rina umarmte ihn ebenfalls. »Tut mir leid, daß du dir meinetwegen Sorgen gemacht hast. Es war dumm von mir, aber ich hab einfach nur an Noam gedacht. Und Paul sah so krank aus.«
»Wenn du meinst, er ist krank, dann warte erstmal ab, bis ich ihn mir vorgeknöpft hab.«
»Laß es nicht an ihm aus«, sagte Rina. »Ich wollte ihm die Flugblätter nicht geben.«
»Da kann ich wohl kaum von ihm erwarten, daß er es schafft, dich zur Vernunft zu bringen.« Decker steckte die Zigarette wieder in die Tasche. »Ich schaff‘s ja weiß Gott selbst nicht. Aber du hättest mir wenigstens sagen sollen, was du vorhast.« Er verzog das Gesicht, dann legte er ihr einen Arm um die Schulter. »Komm, laß uns das hier hinter uns bringen und dann nach Hause fahren.«
»Peter, wenn Hersh im Verdacht steht, so einen schrecklichen Mord begangen zu haben, warum suchen dann nicht noch andere nach ihm?« fragte Rina.
»Weil wir im Grunde überhaupt keine Ahnung haben, wo Noam und Hersh sind. Das hier ist eine reine Vermutung. Eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, daß sie beschließen, die Stadt zu verlassen. Marge kontrolliert den Busbahnhof und die Züge. Ich hab übrigens das Motel gefunden, in dem sie übernachtet haben. Sie sind in aller Eile aufgebrochen. Der Mann an der Rezeption hatte keine Ahnung, wo sie hinwollten.«
Er sah zu den Schaltern hinüber. Sie waren alle geschlossen. Der nächste Flug ging erst in einer Stunde. Ein Mann lag über mehrere Stühle ausgestreckt, eine Zeitung über dem Gesicht. Tiefe Grunz- und Schnarchtöne kamen unter der Witzseite hervor. Ein Hispanic in einem marineblauen Overall wischte den Fußboden. Aus den Lautsprechern ertönte seichte Musik.
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Obwohl er hundemüde war, spürte Decker die Energie, die aus Rina in ihn strömte, aus ihrem Arm, der um seine Taille geschlungen war, und aus ihren Fingern, die in seiner Gesäßtasche steckten. Er hielt sie im Gehen so fest um die Schulter gefaßt, daß er sie fast vom Boden hob. Dann blieb er ganz plötzlich stehen.
»Was ist los?« fragte Rina.
»Nichts Schlimmes. Ich war nur wegen dir so nervös, daß ich meinen Piepser im Auto vergessen hab.«
»Willst du ihn holen gehen?«
»Ach was, ich ruf einfach an und hör mal, ob Marge was rausgekriegt hat.«
Er griff in die Hosentasche und holte eine Handvoll Silbermünzen heraus. Die Telefonzellen waren an der Rückwand des Terminals. Nachdem er die Zentrale erreicht hatte, bat er, zu Marge durchgestellt zu werden. Kurz darauf hörte er ihre Stimme.
»Na endlich! Wo warst du?«
»Ich bin auf dem Flughafen und hab meinen Piepser nicht dabei.«
»Das hab ich gemerkt«, sagte Marge. »Vor vielleicht zehn bis fünfzehn Minuten kam ein dringender Anruf für dich. Eine gewisse Frieda Levine aus New York. Sie war so verstört, als die Zentrale dich nicht erreichen konnte, daß sie vergessen hat, ihre Telefonnummer zu hinterlassen. Ich hab bei der Auskunft von Manhattan angerufen, aber sie steht nicht im Telefonbuch.«
»Sie wohnt in Brooklyn«, sagte Decker. »Ich ruf sie an. Danke.« Er hängte ein und rief Rina zu: »Hast du die Telefonnummer von Frieda Levine?«
»Nein«, sagte sie. »Aber sie stehen im Telefonbuch. Ihr Mann heißt Alter Levine, die Vorwahl von Brooklyn ist
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